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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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im Talsperrenbau. Dort an dieser zentralen und
so gefährlichen Stelle wurde er dringend gebraucht. Er bewachte das Bauwerk klugerweise
von innen, hörte, wie die Betonwände ächzten. Nachdem die Militärfahrzeuge die
ersten Nachtsichtgeräte bekommen hatten, steuerte er einen Panzer sogar
eigenhändig durch die Nacht. Und als geheime Akten aus einem See in Südböhmen
geborgen wurden, zog er die erste Kiste aus dem Wasser ins Boot.
    Da ich
immer zu strengstem Stillschweigen verpflichtet wurde, machte ich mich in der
Schule zum Glück nicht dauernd lächerlich. Dummerweise dachte sich mein Vater
aber gern auch technische Neuerungen aus - und diese waren alltagstauglich. Ich
konnte es wagen, über sie frei und in aller Frische zu berichten. Leider waren
es wieder nur aus Vaters technischem Unwissen geborene Phantasmagorien. Als ich
diese Neuigkeiten stolz meinen Freunden zum besten gab, lachten sie mich
gnadenlos aus.
    - Eine
magnetische Autobahn, auf der man nicht lenken muß? Georg - bist du total
bescheuert? Man lachte und lachte über mich, und ich hütete mich davor, meinen
Vater diesen Haien zum Fraß vorzuwerfen. Diese Auslacherei hätte er sich
nämlich niemals gefallen lassen. Er hätte sein Gewehr genommen und sich
gerächt. Mit seinem Gewehr spielte er gern, und er war weit und breit der
einzige bewaffnete Mann, den ich kannte. Als sein Gewehr eines Tages in der
Wohnung losging, erlebte ich ihn allerdings zum ersten Mal ernsthaft besorgt.
Ich stürzte nach dem Schuß ins Zimmer. Er schrie:
    -
SCHEISSE, SCHEISSE, SCHEISSE!
    Mein Vater
hielt sich am Bein fest, und in seinen Augen war nackte Angst. Wie sich aber
herausstellte, galten die Sorgen dieses harten Mannes nicht unbedingt der
Verletzung, sondern dem zu erwartenden Ärger in seiner Behörde. An diesem Tag
begriff ich, daß er dort offenbar wiederholt schlimmsten Unfug angestellt haben
mußte. Ich zog ihm vorsichtig seine Hose herunter und hielt auf seinen schönen
Beinen Ausschau nach fließendem oder spritzendem Blut.
    - Es fühlt
sich so heiß an, das ist Blut - wie 1945. Ich kenne das von den
Barrikadenkämpfen.
    Er blutete
aber nicht. In seiner Socke steckte bloß eine heiße, verformte und vollkommen trockene
Gewehrkugel. Diese hatte er sich nämlich nicht direkt ins Bein geschossen, sie
war von der Betonwand seines massiven Plattenbaus abgeprallt, hatte sich durch
den Stoff seiner Hose gebohrt und war - heißer als jedes Blut - unter einer
losen Socke gelandet. Mein Vater war natürlich trotzdem ein potenter Schütze
und konnte wirklich alles treffen, was er wollte. Selbst wenn sein Ziel die
Schwanzfedern eines Fasans waren, den er nur der Übung wegen anvisierte und gar
nicht töten wollte. Mein Vater lud wiederholt einen Vertreter der
königlich-niederländischen Fluglinie KLM zu sich zu Besuch, weil er ihm
offenbar irgendwelche Geheimnisse abluchsen wollte - und dies gelang ihm eines
Abends tatsächlich. Die beiden tranken sich gemeinsam gute Laune an, brüllten
vor Lachen, verschwanden immer wieder im Bad. Und als der nette Verräter des
niederländischen Volkes und der ganzen westlichen Welt auf der Toilette war,
vertraute mir mein Vater die Brisanz des Augenblicks tatsächlich an.
    - Er hat
unserem Land einen großen Dienst erwiesen, einen ganz großen.
    Wenn ich
mich nicht irre, war dies das einzige Mal, daß mein Vater in meinem Beisein
etwas Echtes, wirklich Staatsgeheimes preisgab - jedenfalls den Vollzug einer
Abschöpfung andeutete. Offenbar war er nicht nur dank des Alkohols so weich
geworden, sondern war auch von seiner Leistung ganz und gar überwältigt. Ich
stand ihm in diesem großen Moment als einziger Mann unmittelbar zur Seite, wir
beide machten in dem Moment vielleicht Geschichte - ähnlich wie später Michail
Gorbatschow und Helmut Kohl. Der niederländische Verräter kam bald von der
Toilette zurück, bekam sein nächstes Schnäpschen, und mein Vater zog sein
Gewehr aus dem Schrank. Zur Feier des Tages sollte jetzt richtig geballert
werden, ein solcher Coup gelang einem nicht jeden Tag. Mein Vater machte das
Fenster auf und suchte nach geeigneten Zielen. Er kannte keine Angst - und vor
der Härte der sozialistischen Gesetze mußte er sich nicht sonderlich fürchten.
Das Gelände um die Neubauten herum war noch vollkommen zerwühlt und öde, für
die Plattenbaukinder war es trotzdem ein beliebtes, weil einziges
Auslaufgebiet. Die beiden Männer schossen bald auf weit entfernte Pfützen und
freuten sich dabei wild, wie hoch

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