Faktor, Jan
das Wasser spritzte - wenn sie die Pfützen
also getroffen hatten. Spielende Kinder sah man in der einsetzenden Dämmerung
nicht, zum Glück hörte man aus der Umgebung der Pfützen später auch keine
Schmerzensschreie. Vaters Frau hatte sich vorsichtshalber schon vor einer Weile
in die Küche verzogen. Ich blieb die ganze Zeit bei den Männern und war von
einem seltenen Hochgefühl erfüllt. Ich wußte, daß der tschechische Staat beim
Kampf gegen das blutsaugerische Kapitalistenpack gerade ein großes Stück
vorangekommen war.
Natürlich
hatte mein Vater auch seine sentimentale Seite. Als er einmal vom Begräbnis
eines seiner Kollegen kam, weinte er bitterlich. Der tapfere Genosse war
angeblich bei einem gefährlichen Einsatz ums Leben gekommen. Ich war mir in
diesem Fall aber ziemlich sicher, daß dieser Mensch einer der vielen Toten an
der Infarktfront war.
Zu Vaters
Beruf gehörte natürlich ein beachtliches Machtgefühl - und dieses tat ihm
sicher gut. Daher gab er einige abgestandene Randinformationen aus seinem
Berufsleben nebenbei doch preis. Manche davon - aus den fünfziger Jahren, die
knallhart waren - erzählte er immer wieder. Zu den einigermaßen erzählbaren
Highlights gehörte die Geschichte von einem Friseur, den er direkt in seinem
Laden verhaftete und dem auf dem Weg zum Auto sein Darminhalt aus den
Hosenbeinen tröpfelte. Oder von einem Klassenfeind, der nicht reden wollte und
dem er, da dieser mit dem Gesicht zur Wand stand, immer wieder seinen Kopf
gegen die Wand knallte. Oder von einem, der aus dem Fenster - aber nur aus dem
ersten Stock - auf einen leeren Kinderwagen sprang, obwohl mein Vater
eigentlich nur in aller Ruhe mit seinem Mitbewohner reden wollte. Da tapferen
Männern wie ihm - jedenfalls in den Anfangsjahren des Bereinigungskampfes - so
gut wie alles erlaubt war, muß ich leider annehmen, daß mein Vater auch tötete.
Am
aufregendsten waren seine Geschichten aus der ansonsten nicht übertrieben
ruhmreichen tschechischen Widerstandsbewegung während des Protektorats. Sein
blutiger Kampf gegen die nazistischen Okkupanten, seine Sabotageakte, sein
listiges Vorgehen während des illegalen Vertriebs von Flugblättern und des
illegalen »Rüde prävo« waren unglaublich - auch weil er während des Krieges
noch so jung gewesen war! Wie kurzsichtig und dumm seine Lügen waren, erfuhr
ich etwas später in der Schule. Beim Lesen des Standardwerks über die
Widerstandsbewegung, das »Die stumme Barrikade« hieß und zur Pflichtlektüre
ersten Ranges gehörte, stellte ich fest, daß ich viele dieser Geschichten
bereits kannte. Sie waren mit Vaters nur etwas anders ausgestalteten Versionen fast
identisch.
Daß mir
mein Vater kaum etwas Bewunderungswürdiges präsentieren konnte, was aktuell
sichtbar und unkompliziert nachweisbar gewesen wäre, registrierte ich schon
relativ früh - allerdings nur sehr dumpf. Bis ich den vernichtenden Blick auf
seine Bruchbudenzauberkünste wagen, seinen fortgeschrittenen Zerfallsgrad
diagnostizieren und meinen Vater endlich aufgeben konnte, dauerte noch etliche
Jahre. Ich wollte ihn vor dem vollständigen Glanzverlust so lange wie möglich
bewahren. Auch jede Hochkultur schützt seine Helden mit allen Mitteln, bringt
gern lästige Zeugen zum Schweigen, egal, wie authentisch ihre Zeugnisse sind.
Mein
heldenhafter Vater brannte sich beispielsweise mit einem Ätzstift, dem
sogenannten Höllenstein, eigenhändig agile Hautwucherungen ab, die ihm nach
seinen gnadenlosen Rasuren immer wieder nachgewachsen waren. Sie nur mit der
Rasierklinge abzuschneiden reichte einfach nicht, die Huckel wuchsen immer
wieder nach. Er lachte bei seinen Höllenstein-Operationen wie der Teufel persönlich
- und er besiegte die bösen Hautzellen tatsächlich, letztendlich mit der Kraft
seines Willens, denke ich. Dabei handelte es sich bei diesen Wucherungen
vielleicht um frisch keimende Krebsgeschwüre. Mein Vater kannte keinen Schmerz
und auch gar keine Angst vor Krankheitserregern. Das demonstrierte er mir gern
an seinem Unterarm. Er zog dort seine Haut hoch, stach sie mit einer langen,
nicht desinfizierten Nadel aus dem Nähkästchen durch und ließ den Hautstreifen
los. Die Spitze und das Nadelöhr blieben auf der Oberfläche sichtbar, der
Mittelteil der Nadel lag unter der Haut. Mein Vater war sozusagen eingefädelt,
ich hätte an ihm farbige Muster sticken können, meinte er. Vielleicht war sein
Blut längst voller Keime. Mein Vater war aber nicht nur hart gegen sich
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