Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
Vom Netzwerk:
vor. In dieser von einem Krieger
dominierten Wohnung, der vierzig bis sechzig Zigaretten am Tag rauchte, gab es
keine nächtlichen Geräusche. Als wir bei einem Ausflug ein Pärchen mit einer
zusammengefalteten Decke dabei erwischten, wie es sich ein Paarungsversteck
suchte, meinte mein Vater kennerhaft - obwohl sein Fach eher die Spionageabwehr
war -, Sex sei gesund. Mir wurde sogar im Urlaub freigestellt, in welchem Raum
ich schlafen wollte: bei den beiden Eheleuten oder zusammen mit der senilen Oma
und meinem Halbbruder, der lange Stunden, manchmal die ganze Nacht, im Bett hin
und her wackelte. Aus Mangel an Zuwendung, wie ich heute weiß. Ich entschied
mich - es war zweimal der Fall - für die komfortablere Möglichkeit. Mein Vater
hatte nichts dagegen. Im Gegenteil, hatte ich das Gefühl - er wollte mich bei
sich haben.
    - Du
kannst gerne hier schlafen, kein Problem, Georg.
    Ich kann
mich an den fassungslosen Gesichtsausdruck seiner Frau erinnern. Zu einem
lauten Protest fehlte ihr die Kraft. Und ich meinte damals, das zu verstehen.
Unserem dicken Herrscher zu widersprechen hätte lebensgefährlich sein können.
Alle, die kleiner oder schwächer waren als er, mußten sich vorsehen, dachte
ich. Vorausgesetzt, sie wollten nicht wie eine mit der Zeitung an die Wand
geklatschte Fliege enden. Dabei war er, der Idiot von Vater, so furchtbar
schwach! Er, mein Erzeuger, dieses Häufchen Unglück, war ein lahmer Käfer, den
man nicht einmal in eine hinuntergeregelte Zentrifuge hätte stecken müssen, um
ihn auf die Bretter zu hauen. Er war seit langem so weit, daß er jederzeit an
seinem verkalkten, tabak- und alkohol-imprägnierten Inneren zu krepieren
drohte. Es hätte gereicht, ihn nur mit einer Fingerkuppe anzurempeln - er wäre
glatt wie eine Rotzblase geplatzt.
     
    in
seiner socke steckte eine heisse und vollkommen trockene gewehrkugel
    Mein Vater
war nicht nur dick, er war auch klein. Bei der Spionageabwehr war er nicht nur
kraft seines Klassenbewußtseins gelandet, sondern weil er sich dem Wehrdienst
hatte entziehen wollen. Und ein einigermaßen treuer Staatsdiener war er nicht
aus Dankbarkeit, sondern aus purer Faulheit - in anderen Berufen, auch als ein
aktiver Spion, hätte er sich viel mehr anstrengen müssen, hätte zeigen müssen,
was er wirklich konnte. Bei der Abwehr reichten ihm dagegen seine Intelligenz,
seine destruktive Menschenkenntnis und seine Begabung als Großmaul. Er war
öfter bei internen, natürlich streng geheimen Schulungen, und ich kann mir
lebhaft vorstellen, wie er sich dort - der gnadenlose Ironiker - aufführte: Er
wußte mit Sicherheit alles besser als die besten Ausbilder seines Ministeriums.
Auch zu Hause vor dem Fernseher war er immer nur dabei, die Unfähigkeit,
Lächerlichkeit, abgrundtiefe Dummheit der vielen Pappnasen zu kommentieren, die
sich auf dem Bildschirm als Moderatoren, Sänger oder Schauspieler abmühten.
Aber nicht nur alle Spitzenleute unserer Unterhaltungsbranche waren Nullen und
Arschlöcher, deren Leistungen kein Lob verdienten; genausoviel Ausschuß
produzierten die besten Journalisten des Landes, ohne Ausnahme auch diejenigen,
die in derselben Literaturzeitschrift wie meine Mutter arbeiteten oder
publizierten. Diese Leute konnten gar nicht schreiben! Und natürlich waren auch
unsere Spitzensportler nur mittelmäßig - sie waren für die Weltspitze zu
langsam, zu schwach, zu ungeschickt, um bestehende Rekorde zu brechen oder um
irgendwelche lahmen Torhüter zu überlisten. Vater saß bei seinen Urteilsverkündungen
in seinem von der Angorakatze zerfetzten Fernsehstuhl, rauchte hintereinander
seine Zigaretten und sprach letztinstanzlich.
    Vieles
mußte ich meinem Vater leider auch abnehmen, er argumentierte meistens sehr
treffend und gewitzt. Und die damalige Unterhaltungsmaschinerie war wirklich
fürchterlich. Daß aber alle Kollegen meiner Mutter, auf deren Artikel das
lesende Volk Woche für Woche sehnsüchtig wartete, nicht schreiben können
sollten - das war mir zuviel. Als ich es in diesem Punkt einmal wagte, ihm zu
widersprechen und gleichzeitig meine Mutter zu loben, war er gnädig mit mir.
    - Es ist
nett von dir, daß du deine Mutter in Schutz nimmst, Georg. Ich kenne die ganzen
anderen Jungs aber von früher, ich kenne diese Möchtegerne noch vom Studium - und
besser als du oder deine Mutter.
    Mein Vater
hatte auch seinen Ehrgeiz gehabt, saß seit langem aber auf einer kleinen
Trümmerhalde. In seinen armseligen Spionagealltag waren alle seine

Weitere Kostenlose Bücher