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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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allein waren, jeder für sich - und wenn ich dort längere Zeit in Ruhe
gelassen wurde, ging es mir nicht mal so schlecht. Ich konnte zum Beispiel
ungestört alle Schubfächer und Schränke der Familie inspizieren.
    Aus den
überaus ordentlich gefüllten Schränken der väterlichen Wohnung atmete es, wenn
man sie öffnete, seltsam anders, als zu erwarten war. Aus den sauberen Krypten
der toten Kleider quoll eine so strenge Luft, daß man erstarrte und einem zur
Übelkeit keine Zeit blieb. Außerdem boten diese Gerüche auch einem erfahrenen
Duftforscher interessante Neuigkeiten. Nicht einmal die frisch gewaschene
Wäsche roch bei meinem Vater gut, natürlich auch nicht die chemisch gereinigten
Mäntel, die noch im chemiefrischen Zustand versenkt worden waren. Nachdem ich
einmal verschimmelte Mantelkragen entdeckt hatte, wünschte ich mir zum nächsten
Geburtstag ein Mikroskop.
    Von den
nicht eßbaren Vorräten verschiedener Drogerieartikel oder dem kaum brauchbaren
Handwerkszeug meines Vaters war nichts anderes als Muffigkeit zu erwarten.
Dafür fand ich ausgerechnet in diesen Schubfächern nützliche Dinge wie
dickliche Patronen aus Vaters Dienstpistole. Schießpulver konnten Skopka und
ich immer gut gebrauchen.
    Sonntags
nach dem Mittagessen durfte ich nach Hause gehen. Der Moment, als sich die Tür
hinter mir schloß, war herrlich - obwohl ich mich erst einmal nicht traute, ihn
wirklich zu genießen. Ich atmete immer freier und tiefer ein, die neue, nicht
klebrige Woche konnte langsam beginnen. Zu Hause erwarteten mich lächelnde,
duftende Frauen, die oft viel zu viel erzählten statt zu wenig. Mein Vater
hatte, wie schon mehrmals erwähnt, auch eine Frau an seiner Seite. Daß diese
weiter oben im Text so konturlos, unauffällig und grau ausfiel, ist natürlich
kein Zufall. Ich sollte diese Frau trotzdem etwas sorgfältiger beschreiben. Sie
war fleißig, verrichtete alle Arbeiten still und geduldig, trotz der vielen
sichtbaren Ergebnisse ihrer Hausarbeit machte sie allerdings nie den Eindruck,
in Vaters und meiner Wirklichkeit hundertprozentig vorhanden zu sein. Ihre
Seele beschwitzte die Atmosphäre vielleicht weniger als die meines Vaters,
eventuell verpestete sie die Wohnung subtiler als er, sie - Vaters Frau - litt
dabei aber sicher viel bewußter. Und sie trank kaum Alkohol. Ihr Leid wandte
sich eher gegen sie, fraß sich nach innen, es zehrte an ihr und hielt sie
schlank. Sie war steif, blond und sicher auch wegen ihrer inneren Starre
dauernd erschöpft. Wenn sie sich zwischendurch rücklings auf ihr Sofa fallen
ließ, die Arme nach oben nahm, also neben ihrem Kopf nach hinten legte, war ihr
Brustkorb so flach wie der eines jungen Mannes. Ich beforschte sie in dieser
für sie typischen Lage wieder und wieder. Von ihrem Busen sah ich meistens nur
ihre leicht angedeuteten Brustwarzen. So etwas wie eine Brustwölbung verschwand
in der Rückenlage vollständig. Sie wirkte in diesen Momenten vollkommen
resigniert. Daß sie meinen Vater verachtete und aus dem Grund in meiner
Gegenwart so beharrlich schwieg, begriff ich erst lange nach ihrem Krebstod.
Bevor sie meinen Erzeuger geheiratet hatte, mußte ihr mein Vater versprechen,
nicht mehr zu trinken. Auf diesem wackligen Versprechen ruhte dieses gewagte
Ehe-Experiment erstaunlich lange. Und tatsächlich kann ich mich an keinen
lauten Streit zwischen den beiden Eheleuten erinnern. Vielleicht sahen er und
seine Schattengattin keinen Sinn darin, auf diese Weise ihre kostbare Energie
zu verschwenden. Manchmal fiel dort stundenlang nicht einmal ein leises Wort.
Auch ich war natürlich still und beschäftigte mich gern verbissen und
bescheiden mit meiner Modelleisenbahn. Als Pubertierender kam ich später einmal
mit einem auffälligen schwarzen Hut an. Der Hut hatte eine freche, vollkommen
gerade Krempe. Mein Vater brüllte mich entsetzlich laut an - ich stand noch im
Treppenhaus - und schickte mich postwendend nach Hause. Er ließ mich nicht
einmal seine stinkende Gruft betreten und war fest davon überzeugt, mich damit
bestraft zu haben. Ich verließ die Vorstadthölle und war - die inzwischen schon
etwas rissigen Plattenbauten im Rücken - der glücklichste Wochenendmensch seit
langem. Ich hatte zwei freie Tage vor mir und wußte, wie wenig für die nächste,
egal wie unschuldige Provokation ausreichen würde.
    Die
Aufenthalte bei meinem Vater haben mich leider für Jahrzehnte geschädigt. Ich
wurde dort viele Jahre lang an jedem Wochenende zu einem fast

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