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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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Mutters
Tisch saßen oft mehrere männliche Prachtexemplare, und alle wirkten in der
Regel entspannt. Natürlich versuchten sie, sich bei den geistreichen und meist
politischen Diskussionen nach Möglichkeit gegenseitig zu übertrumpfen. Sie alle
waren eher »zufällig« vorbeigekommen, »hatten gerade in der Nähe zu tun
gehabt«. Mindestens einer von ihnen brachte eine Flasche Wein mit. Die Männer
scherzten auch mit mir, wenn ich mich zeigte oder von meiner Mutter gerufen
wurde, und ich kannte diese Leute meist nur ihren unscheinbaren Vornamen nach.
Die gesellschaftliche Bedeutung aller dieser Männer wurde mir erst klar, als
sie im achtundsechziger Frühling auf großen Fotos in den Zeitungen auftauchten,
um dorthin später als Feinde wieder zurückzukehren - in Überschriften von
wütenden Artikeln, auf viel kleineren Fotos oder ganz ohne Bild. Als einer von
ihnen - einige Jahre nach dem Einmarsch - wieder mal groß abgebildet wurde, war
er vollkommen nackt. Auf dem bei ihm während einer Hausdurchsuchung gefundenen
Foto lag er mit seiner aktuellen Geliebten auf einer Grabplatte. Die
Bildunterschrift lautete: MEIN KAMPF FÜR DIE MENSCHENRECHTE.
    Mutters
fester Liebhaber konnte selbstverständlich nur einer werden - und einer wurde
es dann natürlich auch. Mein Vater war bei uns normalerweise nicht einmal als
Phantom vorhanden - er störte also niemanden. Genau das gleiche galt für meinen
Onkel. Der neue Partner meiner Mutter kannte sich in der Wohnung bald bestens
aus und durchquerte unseren Flur still, man mußte seine Präsenz nicht unbedingt
bemerkt haben. Da sich unsere Wohnung wegen der vielschichtigen Überbelegung
nie ganz leerte, wurde die Eingangstür von außen mit einem drehbaren Knauf
versehen und am Tag nicht abgeschlossen. Außerdem hatte meistens jemand sowieso
seinen Schlüssel steckenlassen. Die Türklingel (lx, 2x, 3x, 4x, 5x oder 6x
klingeln) war aus zwei praktischen Gründen stillgelegt worden. Einerseits
wollten die Kriegsphobiker unter uns nicht dauernd in Alarmzustände versetzt
werden, andererseits war es sowieso nicht möglich, die einzelnen Röchelanfälle
der alten Klingel wirklich zu zählen. Der Liebhaber meiner Mutter machte also
eigenständig die Tür auf, übersah mich in dem oft unbeleuchteten Flur, und sein
zielstrebiger Antritt hinterließ schließlich nur eine
vorübergehende, trotzdem intensive Luftdruckwelle. Der eine geblümte Vorhang
bekam davon auch etwas ab und wallte eine Weile.
    Wenn Erwin
oder der depressive Oskar zu meiner Mutter kamen, wurde lange und ernsthaft
diskutiert und kaum getrunken, wenn Ladislav kam, wurde viel herumgeblödelt und
gelacht, Franta hielt allen lange Vorträge, und auf gezielte Nachfragen
reagierte er so, daß er der Fragestellerin bewies - also meiner Mutter, oft
waren aber auch ONKELS Frau Eva oder meine Großmutter Lizzy dabei -, wie
widersinnig ihre Fragen gewesen waren. Als Twist aufkam, brachte uns Otomar
diese Tanztechnik mit Hilfe eines Handtuchs bei, das er sich beim Tanzen am
Rücken hin und her rieb. Diese Männer waren auch die ersten, die unsere Wohnung
mit Platten der Beatles beehrten - sich beim Zuhören allerdings sehr wunderten,
wieso sich in England auch seriöse Gentlemen um die Konzertkarten prügelten.
    Einer von
Mutters Bewunderern - speziell von Mutters Lachen - war Klaudius, ein blinder
marxistischer Philosoph, der später nach dem Einmarsch der Russen einer der
schillerndsten Dissidenten werden sollte. Klaudius bewarb sich um meine Mutter
irgendwann in den frühen fünfziger Jahren. Seine Beliebtheit bei den Frauen
wurde mit der Zeit so überwältigend, daß er jedesmal mit einer anderen Freundin
ankam. Alle seine Geliebten waren erstaunlich hübsch.
    - Wie
machst du das, Klädo, daß du immer so schöne Bräute findest? fragte ihn meine
Mutter einmal, als seine Freundin pinkeln gegangen war.
    - Bei mir
geht es immer ganz schnell. Ich kann sie doch nicht sehen, muß sie gleich
anfassen - das Gesicht, den Busen ...
    Klaudius
war in der Stadt oft auch allein unterwegs, lief lange Strecken einfach zu Fuß
- ohne Stock. Er fragte auch nicht gern nach dem Weg, bat normalerweise nie um
Hilfe. Prag sei doch nicht besonders groß, meinte er.
    - Wie das
in meinem Gehirn funktioniert, weiß ich nicht, ich merke mir eben alles.
Inzwischen kenne ich jede Bordsteinkante, ich weiß, wo welche Mülltonnen
stehen.
    - Und wenn
sie woanders stehen?
    - Meistens
spüre ich das - und einiges renne ich einfach um. Früher gab es zum

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