Faktor, Jan
vollwertigen
Mitglied dieser verschwitzten, mit der Klebeschichtproduktion beschäftigten
Gemeinschaft und war in meiner partiellen Treue auch später nicht in der Lage,
diese geheime Zugehörigkeit ganz abzustreifen. Gelernt ist gelernt, eingebrannt
ist eingebrannt. Wochenenden sollten für mich daher etwas Lähmendes behalten,
mein Leben lang. Aber auch in der Woche konnte ich mich in ganz anderen
peinlichkeitsgetränkten Zusammenhängen wie eine klettende Laus fühlen - und ich
erkannte mich als eine solche und vergaß nicht, woher ich meine Lausegefühle
hatte. Da ich Vaters Beispiel in mir trug, glaubte ich sowieso, eine
vollständige Reinigung und vor allem Schutz vor diesem Gefühl wäre unmöglich.
Meine bland verlaufende Pubertät bescherte mir leider Gottes eine relativ fette
Haut, und ich bekam in besonders heftigen Entwicklungsphasen das Gefühl, meine
Umwelt tatsächlich mit schmierigen Säften und unhygienischen Dünsten zu
verpesten. Daß mein Vater unterdessen weit hinter mich zurückgefallen war, tief
in seinem alkoholisierten Schlamm feststeckte und keine Macht mehr über mich
hatte, half mir bei meiner Befreiung nur bedingt.
als
er die messerklinge aus seiner handfläche zog, blieb die wunde trocken
Ohne
Mutters außergewöhnliche Schönheit wäre das Leben in unserer mißgestalteten
Wohnung vollkommen anders verlaufen. Meine Mutter beeindruckte die unterschiedlichsten
Menschen. Sie gewann sie schon in den ersten Sekunden ihres Erscheinens für
sich - beglückte mit ihrer Lebendigkeit aber keineswegs nur Männer. Mutters
wieherndes Lachen, ihre wärmenden Augen und ihre überwältigende Haarmenge
fielen überall aus dem Rahmen; ihre Grazie beim Rauchen war sowieso
unnachahmlich. Und weil sie in einer Literaturzeitschrift arbeitete, die sich
in den sechziger Jahren zum geistigen Zentrum der tschechischen Intellektuellen
entwickelt hatte, gehörten die triebstarken Männer, die dort ihre Schönheit
brennen sahen, zu den besten Köpfen des Landes. Also den besten, die das Land
vordergründig zu bieten hatte.
Dazu muß
man wissen: Die Männer und Frauen der alten bürgerlichen Eliten gab es an der
gesellschaftlichen Oberfläche praktisch nicht mehr - sie waren entweder
emigriert, oder sie wurden mit einem klassenkämpferischen Ruck an den Rand
gedrängt, um dort allmählich zermürbt zu werden. Nach 1948 wurden diese
Menschen jedenfalls ausnahmslos durch seelische oder körperliche, garantiert
grobschlächtige Fleischwölfe gejagt - in schwersten manuellen oder stark
minderwertigen Berufen, in Arbeits- oder Vernichtungslagern. Wegen der
unmenschlichen Bedingungen und der starken radioaktiven Belastung, vor der
niemand geschützt wurde, kann man die Letztgenannten nicht anders nennen. Über
den Toren einiger dieser Lager prangte zum Trost der Häftlinge die altbekannte,
ins Tschechische übersetzte Losung »Arbeit macht frei« - »Praci ke svobode«,
»Durch Arbeit zur Freiheit«.
Die Macher
von Mutters Zeitschrift und die übrigen Erregten, die diese Zeitschrift mit
ihren Artikeln belieferten, hatten erst einmal - das heißt bis zur russischen
Invasion von 1968 - gut zu lachen. Und sie lachten viel, sie bewegten einiges
mit, vieles schien eine Zeitlang tatsächlich aufwärtszugehen. Sogar die marode
Wirtschaft machte den Eindruck, etwas stabiler in ihrem Schlamm zu stecken. Die
Essays und Artikel der führenden Intellektuellen dieser Jahre hatten oft
weniger mit Literatur und Kultur zu tun, statt dessen verstärkt mit
Innenpolitik, und sie durften immer ehrlicher ausfallen. Folgerichtig gehörten
ihre agilen Autoren zu den Vorbrütern der Prager Reformbewegung - womit der
Großteil der privaten Besucher meiner Mutter dazu bestimmt war, sich später
unter den neuen Abgestraften wiederzufinden.
Zum Glück
war das Zimmer meiner Mutter noch das schönste in der ganzen Wohnung, und alle
die Philosophen, Literaturkritiker, Schriftsteller, Journalisten und
Politologen, die um meine Mutter in den frühen Jahren warben oder sie einfach
gern besuchten, mußten im Flur nur eine relativ kurze Strecke überwinden. Der
übrige Teil des Flurs lag hinter einem meist halboffenen Vorhang. Bevor die
Besucher in Mutters Reich eintauchten, bekamen sie noch einen weiteren
geblümten Vorhang zu sehen, mehr aber nicht. Leider roch es im Flur wegen der
divergierenden Kochdünste nie besonders gut. Die Luft wurde dort außerdem von
einem riesigen, mit einer Gasflamme betriebenen Kühlschrank verpestet.
An
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