Faktor, Jan
kannte. Prag war für mich voller
männlicher Einzelkämpfer. Außerdem voll von ihren mit dem gemeinsamen Haushalt
beschäftigten Ehefrauen, über deren Leben ich allerdings nur wenig erfuhr. Als
ich klein war, durfte ich den Männern noch bestimmte Fragen stellen.
- Hast du
eine Frau?
- Zu Hause
habe ich eine, ja.
Bei den
größeren Zusammenkünften waren allerdings auch Frauen dabei, das waren aber
ganz besondere Erscheinungen. Die meisten von ihnen schrieben, kritisierten
oder philosophierten auch - dabei versuchten sie aufgrund ihrer guten Erziehung
aber nie, ihre männlichen Kollegen in Bedrängnis zu bringen. Meine Mutter war
unter den Damen die unumstrittene Nummer eins, jedenfalls die Attraktivste von
allen. Sie wußte es und nutzte ihren Charme, wo es nur ging. Als Intellektuelle
litt sie dafür oft unter abgründigen Minderwertigkeitskomplexen.
- Ist er
aber schön, sagten die Damen gern in meine Richtung, wenn sie mich im Flur
trafen. Oder:
- Ich wußte,
daß er schön ist, daß er aber so schön ist, ahnte ich nicht.
Diese
Sprüche nährten einerseits meine Visionen, die meine zukünftige Frau betrafen,
andererseits fühlte ich mich unter der Gesichtsoberfläche oft, ähnlich wie
meine Mutter - intellektuell nicht ausreichend ausgestattet, ungenügend
gebildet und rhetorisch sowieso ein Zwerg. Meine Mutter war einige Zeit mit dem
schönen, allerdings auch etwas kleinen Ladislav zusammen. Der
selbstverständlich verheiratete Ladislav trug auf seinem großen Schädel eine
wuchtige, nach hinten gekämmte Mähne, er und meine Mutter paßten ganz gut
zusammen. Draußen liefen sie oft sogar eingehakt herum, so daß ich von
Mitschülern erfreuliche Rückmeldungen bekam.
- Ich habe
gestern deine Mutter mit deinem Vater gesehen.
Für
Sekunden konnte ich mich über eine solche Rückmeldung freuen und versuchte
außerdem, auf meine mögliche Ähnlichkeit mit dem schönen Ladislav stolz zu
sein. Später war Otomar, der Twisttänzer und Filmkritiker, an der Reihe, für
ihn interessierte sich allerdings auch eine von Mutters engsten Freundinnen.
Ich erlebte einen Spaziergang dieses Dreiergespanns mit. Otomar - Otek genannt
- war an dem Tag eher schweigsam, meine Mutter und ihre Freundin boten dafür
alles, was man zum gegenseitigen Überbieten so braucht - sie redeten, lachten,
lächelten, stichelten, sahen dauernd zum schweigenden Otek herüber, sahen sich
auch gegenseitig prüfend bis böse in die Augen und versuchten vergeblich,
Otomar zu einer verstärkten Hinwendung nach links oder rechts zu animieren.
Mutters Freundin schlaffte irgendwann ab, ihre geistigen Reserven und ihre
Schönheit reichten für diesen Kampf nicht aus. Meine Mutter gewann. Über die
Hintergründe dieses Kampfes berichtete mir meine Mutter erst Jahre später, kurz
nachdem ihre ehemalige Rivalin emigriert war. Der über den Dingen stehende
Otomar hatte - erzählte mir bei dieser Gelegenheit meine Mutter - von dem
damaligen Kampf um seine Seele angeblich nichts mitbekommen, wartete offenbar
nur das Ergebnis ab.
- Die Frau
wählt den Mann, prägte mir meine Mutter bei ihren Schulungen fürs Leben ein.
Von der
Notwendigkeit der Ausbildung in Liebesdingen war sie so fest überzeugt, daß ich
mir manche Weisheiten immer wieder anhören mußte:
- Die Frau
muß aber trotz allem immer so tun, als ob sie gewählt worden wäre.
Wer damals
etwas auf sich hielt, war ein Reformer. Und dank der marxistisch-leninistischen
Flurbereinigung der fünfziger Jahre war unser Land tatsächlich zu einer
reformbedürftigen, aber auch reformresistenten Problemzone geworden. Als in den
sechziger Jahren der politische Druck gelockert wurde, war denjenigen, die sich
noch als ein Teil des Systems empfanden, erlaubt, über den Zustand der
Gesellschaft öffentlich nachzudenken und Mißstände zu kritisieren. Wer sich an
die Regeln hielt und sich mit der Vorab-Zensur abfand, dem geschah auch nichts.
Die besonders ungeduldigen Intellektuellen dieser Jahre lieferten aber immer
frechere Analysen der Schieflage, die Zensur ließ immer mehr zu - und die
mutigen und auch die weniger mutigen Köpfe begannen auf diese Weise an den
Grundfesten des Systems zu rütteln. Perspektivisch rüttelten sie alle gemeinsam
auch an ihrer eigenen Existenzgrundlage. Die Ideologie war längst verrottet,
und mit den Ketzereien steckten sich allmählich auch viele der früher so
eisernen Machtkader an. Man korrigierte immer unverschämter alte Dogmen und
leuchtete dabei voller Hoffnung.
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