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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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Den gefragten Zeitschriften bewilligte man
unterdessen immer größere Papierkontingente. Das Volk wurde dadurch allerdings
nicht besänftigt, es wurde eher begieriger und hatte immer weniger Angst. Am
Ende waren die alten Machtstrukturen - samt allen Sicherheitsdiensten - so
gefährlich aufgeweicht, daß die Rettung des Ganzen nur noch durch auswärtige
Armeen bewältigt werden konnte. Es kam, wie es kommen mußte.
    Der
Freundeskreis, zu dem meine Mutter gehörte, driftete in der Zeit der 68er
Frühlings- und Sommermonate auseinander - alle waren ungeheuer beschäftigt und
hatten füreinander kaum Zeit. Nach dem russischen Überfall und der politischen
Implosion rückte man wieder näher zusammen, und alles war fast wie früher. Nur
personell wurde das Land gründlich umgekrempelt. Alle Redaktionen, Verlage,
Universitäten und Institute hatte man von konterrevolutionären Elementen
gereinigt, und die meisten Philosophen, Kritiker, Journalisten und
Schriftsteller wurden wegen der streng einzuhaltenden Arbeitspflicht über Nacht
Proletarier - sie putzten Fenster, heizten veraltete Dampfkessel, wurden
Nachtwächter, Handlanger, Straßenkehrer. Die Treffen des Freundeskreises, der
inzwischen keine gemütlichen Redaktionsräume mehr hatte, wurden in
unterschiedlichen Wohnungen abgehalten, um das Risiko zu verteilen - und alle
paar Wochen saß man bei meiner Mutter. Die Neuproletarier lachten wieder, sie
lachten fast genausoviel wie früher und ähnlich proletarisch wie früher.Einige
von Mutters Bewunderern waren Russen - Söhne von Flüchtlingen, die nach der
Oktoberrevolution in die antibolschewistische Tschechoslowakei gekommen waren
und zwanzig Jahre später dann - vor den Nazis - nicht unbedingt zu flüchten
brauchten. Diese begabten slawischen Brüder agierten und benahmen sich zwar
längst genauso tschechisch wie alle anderen, sie waren aber trotzdem anders.
Ausladender, lauter, intensiver. Ihr Hinterland war immer noch die weite Steppe
ihrer Vorfahren - und sie alle tranken lieber Wodka als mährische Weine. Die
Wodkaflaschen, die sie mitbrachten, öffneten sie mühelos mit einem kräftigen,
von unten geführten Schlag gegen den Flaschenboden. Der eine von ihnen
schleuderte manchmal mit der gleichen Wucht seine Gläser in eine bestimmte
Zimmerecke. Ansonsten blieben die meisten von Mutters Freunden in den schweren
Zeiten nach dem Einmarsch sehr tapfer, sie klagten manchmal nur über die
alltägliche körperliche Erschöpfung.
    - Wie soll
ich den zweiten und dritten Teil zu Ende schreiben? Ich falle abends um neun
mit dem Kopf auf die Schreibmaschine und habe dann die halbe Tastatur als
Abdruck im Gesicht.
    Nur wenige
von diesen Leuten verlegten sich in dieser Zeit aufs Trinken. Der Gläserwerfer
war allerdings schon lange gefährdet gewesen. In der Zeit, als er nur in Maßen
trank, schrieb er wunderbare Tiergeschichten für Kinder und Jugendliche, auf
die man ihn allerdings nie ansprechen durfte. Wenn er stark angetrunken war,
schon gar nicht.
    - Laß mich
bitte in Ruhe mit meinem Schrott!
    Als er
einmal kam, um einige Ersatzgläser vorbeizubringen, fragte ihn meine
mitfühlende Mutter unvorsichtig:
    - Wie geht
es dir, Jossip?
    -
Schlecht, sehr schlecht. So schlecht, wie es mir jetzt geht, ging es mir noch
nie in meinem Leben.
    Kurz
danach schob er ein Brett, auf dem ein Laib Brot lag.näher zu sich, griff sich
ein scharfes Messer und hielt es verkehrt herum - mit der Spitze nach unten.
    - Ich
zeige euch, wie schlecht es mir geht. Aber keine Angst, ich werde nicht bluten.
Nachdem meine Mutter das Brot an sich gerissen hatte, durchstach Jossip seine
linke Hand. Zum Beweis hob er den Unterarm an - und die Holzunterlage kam mit.
    - Auch
wenn ich mein breites Jagdmesser mit den Rillen genommen hätte, hätte ich nicht
geblutet. Wenn ich nicht will, kommt kein Tropfen aus mir.
    Und
tatsächlich: Als er das Messer aus seiner Hand zog, blieb die Wunde trocken.
    - Wenn ich
bei der Jagd verletzte Tiere töten muß, sieht es etwas anders aus.
    Er
wickelte sich ein nicht besonders sauberes Taschentuch um seine Faust,
tröpfelte etwas Wodka drauf, nahm sich vom Tisch noch eine Serviette und
verließ die Wohnung.
    Dana,
meine zukünftige Geliebte, war Bildhauerin, hatte mit Politik nicht viel zu
schaffen, trotzdem wurde auch sie eines Tages beruflich kaltgestellt. Da sie
sich nicht anpassen wollte, schloß man sie aus dem Künstlerverband aus.
Daraufhin fand sie für sich eine praktikable Lösung - sie zog aufs Land, wo

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