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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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dafür übertraf die sexuelle Leistungsfähigkeit der beiden
alle mir bis dahin bekannten Männerprahlereien. Diese gehörten während der
Frühstückspausen sowieso zum Pflichtprogramm. Der Musterkatholik und seine
Frau, die ihren Potenzprotz in den Pausen oft besuchen kam, verbrachten
wahrscheinlich ihre gesamte Freizeit mit Ficken. Und auch die Frau war stolz
auf diese gottgegebenen und dem Allmächtigen offenbar gewidmeten Rituale. Für
die beiden war es, sie deuteten es sogar an, eine Art heilige Pflichtübung. So
erklärte ich mir ihre Schamfreiheit. Wir bekamen jeden zweiten Tag erzählt, wie
oft bei ihnen in der Nacht wieder gerammelt worden war, sechsmal, siebenmal,
achtmal - und bei der nächsten Berichterstattung ging es genauso langweilig
weiter. Von unseren Frühstücksbroten tropfte regelrecht der fremde, mit
Scheidenschleim vermischte Samen in Strömen herunter. Sex, Sex, purer Sex,
nichts anderes als - doch geistloser - Sex. Bald wurde mir schon beim Anblick
der sich nähernden Samenabnehmerin und -entsorgerin übel, und ich versuchte,
wenn es ging, draußen auf einer Bank zu frühstücken. Bei meinem Müllabfuhrbetrieb,
in dem insgesamt sowieso keine hohen hygienischen Standards galten, zeigte mir
der Sex zum Glück auch diese seine desinfektions- und transzendenzresistente
Seite. Wenn es im Leben mancher Individuen nur um Sex gehen sollte, dachte ich,
könnten sich solche Leute auch in einen Zoo einsperren lassen, um dort vor
aller Augen irgendwann zu sterben - vor Scham oder schamlos, auf jeden Fall
aber fickend. Auch andere Bilder quälten mich: Wenn ich mein Leben auf dieser
Welt als ein Bulle zu fristen hätte, hätten mich unweigerlich Hinterbacken von
Kühen angezogen; und auch die schlimmsten Fliegenschwärme oder kotverschmierte
Hüften hätten mich von meiner Kuh-Liebsten nicht fernhalten können.
    Trotz der
gerade geschilderten Erlebnisse und Phantasien möchte ich vorausschicken, daß
meine Geschichte sich vorwiegend in sittlichen und appetitlichen Bahnen bewegen
wird. Trotzdem: Um mich herum ging es nun mal dauernd mehr oder weniger um Sex.
Daran kann ich wenig ändern. Lachende Mädchenmünder trainierten nebenbei ihre
Lutschlippen, sie trompeteten - schien mir - Takte aus noch auszuführenden
Orgasmus-Ouvertüren, alle weiblichen Hüftbewegungen luden zum Sex im nächsten
Fünfjahrplan ein, und sogar das Pissen war eine sexbeladene Handlung. Ich weiß
nicht, ob es immer so und für jeden genauso sein muß, damals in Prag war man -
und blieb man - in dieser Sexklammer aber wie gefangen. Viele Menschen waren
nach dem Krieg aus dem Exil oder vom »totalen Einsatz« im Dritten Reich
zurückgekehrt, andere hatten mehrere Jahre Konzentrationslager hinter sich. Und
denjenigen, die daheim geblieben waren, saß die Angst tief in allen ihren
Knochen. Die politische und existentielle Bedrohung setzte leider bald wieder
ein. Gewisse Freiheiten mußten die tschechischen Stalinisten dem Volk aber auch
in den härtesten Zeiten des Klassenkampfes lassen. So blieb die Sexausübung im
Sozialismus die ganze Zeit straffrei, und das wenig produktive, streßreduzierte
Wirtschaftssystem, das vielerorts auch während der Arbeitszeit diverse
Hobbyaktivitäten tolerierte, legte ungeahnte Vitalreserven frei.
    Dabei
gehörten die tschechischen Parteikader lange zu den schärfsten und ideologisch
strengsten im Ostblock - und den sichtbar treusten. Das Prager Stalindenkmal,
das einige hundert Meter von meinem Haus entfernt stand, war das größte der
ganzen Welt. Und wenn auch die Slänsky-Prozesse zu einem Symbol für den
kommunistischen Terror wurden, mordete man nach 1948 in viel größerem Ausmaß
lieber ohne Öffentlichkeit - bei Verhören, nach geheim abgehaltenen Prozessen
oder in den unzähligen Arbeitslagern. Aber auch später in den sexualisierten
Zeiten meiner Jugend gehörte Todesgefahr zum Alltag - allerdings die Gefahr
eines neuen sozialistischen Typs. Die historische PragerBausubstanz wurde
irgendwann so marode, daß abstürzende schwere Simse oder ganze Balkone immer
wieder auf Passanten herabfielen und manche auch erschlugen. Auf den
Bürgersteigen lief man deswegen nicht gern an den Häuserwänden entlang, man
drängelte sich in der Nähe der Bordsteinkanten und ließ sich lieber vom vital
werdenden Straßenverkehr bedrohen.
    Im Grunde
kann es einen nicht verwundern, daß das denkwürdige Jahr 1968 auch auf der
höchsten Ebene, dem sogenannten Politbüro der kommunistischen Partei,
ausgerechnet

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