Faktor, Jan
höhnte über den mathematischen Unverstand der Belästigerin - und er konnte
mit seinen Tiraden auch bei dem inzwischen wieder angelaufenen Verkauf seiner
Melonenberge nicht aufhören. Die Frau tat zum Glück das einzig richtige - sie
fiel in Ohnmacht und knackte hart auf die Pflasterung der Hinrichtungsstätte.
Einige umstehende Passanten - nicht ihre Gegner aus der Schlange, die ihre
Warteposition hätten verlieren können - trugen sie zu einer Bank und legten sie
hin. - Wir brauchen einen Arzt!
Wie ich
später erfuhr, hatten pfiffige Gemüsehändler an ihre Waagschalen oft Schlaufen
aus dünnem Draht angebracht. Eine solche Schlaufe hing unterhalb der
Tischplatte, war gut getarnt und konnte bei Bedarf mit der Fußspitze belastet
werden.
rücklings
schob er sich wie eine dampfgetriebene Wühlmaus die gänge lang
Hoffentlich
hat niemand kritiklos angenommen, mich - den naiv träumenden Georg - hätte
tatsächlich eine schattenlose Zukunft, so etwas wie ein Kontinuum an Glück
erwartet. Falls ich Anlässe zu derartigen Visionen geliefert haben sollte, tut
es mir leid. Da mir böswillige Mitmenschen schon mal Täuschung aus niederen
Motiven unterstellt haben, lasse ich mir in diesem Zusammenhang ruhig
vorwerfen, ich hätte mich der etwas harmloseren Verklärung schuldig gemacht.
Relativ unschuldig darf ich mich tatsächlich fühlen. Ich habe nie an konkreten
Zukunftsplänen gebastelt und habe über sie daher auch nie berichten können -
nicht in diesem Text, genausowenig mündlich. Über sie zu phantasieren hätte
sowieso kaum Sinn gehabt, da meinem früh verfestigten Gefühl nach alles längst
feststand - inklusive der ferneren Zukunft. Auch diese befand sich von Anbeginn
an im lieferfertigen Zustand, war auf mich positiv eingestimmt - maßgeschneidert
wie sie war -, und sie war natürlich einigermaßen hell, wie sie auch für jeden
anderen Menschen auf der Welt zu sein hätte. Meine Zukunft war auf alle Fälle
dazu da, sich eines Tages von sich aus zu entfalten, war immer schon dabei, auf
mich in aller Ruhe zuzugehen.
In der
Zeit, als das ganze Konglomerat meiner qualreichen Eigenarten in mir noch
tiefer verborgen lag, sah ich im Gesicht wie weichgespült aus. Dank der wenigen
von mir existierenden Fotografien kann ich jetzt mit Sicherheit sagen: Meine
Frisuren waren nichts anderes als eine konsequente Serie von dämlichen
Karikaturen. Meine möglichst grauen Anziehsachen waren mir meist nicht grau
genug.unsichtbar war ich aber nicht. Ich hieß damals genauso wie heute, lange
Jahre wollte ich aber unbedingt anders heißen. Auf keinen Fall Georg.
Ich hatte
zwar immer fest an meine nicht zu befürchtende Zukunft geglaubt, ganz logisch
war mein Glaube aber keinesfalls. So porenoffen, wie ich aufwuchs, hätte ich
meine Zukunft niemals mit Freude erwarten dürfen. Zum Glück hatte sich mein
seelischer Selbsterhaltungstrieb um keinerlei Logik geschert. Es reichte, mich
leicht zu schütteln, Fußball zu spielen oder morgens anders aufzuwachen - und
ich hatte alle Zweifel vergessen, war wieder munter und überaus fröhlich. Wenn
meine düster drückenden Zustände trotzdem nicht restlos verschwunden waren,
versuchte ich schnellstens, sie wenigstens von meinem Äußeren zu entfernen, sie
wie die altgriechischen Schlammkämpfer mit ihren Schabeisen schichtweise
abzukratzen. Als ich später - endlich und ehrlich - begann, mir wie ein unreines
Wesen aus einer anderen Welt vorzukommen, half diese Oberflächenbehandlung
leider nicht mehr. Meine Seele war mir immer wieder ... die Qualität dieses
Gefühls war punktuell erschreckend ... meine Seele wurde mir eklig auf eine so
eigenartige Weise, daß es mir nie gelang, auch nicht in der Zeit der
Kulmination und der Zeit meiner ersten intensiven Schreibversuche, für diesen
Ekel ein stimmiges Bild zu finden. Dann kamen noch meine unschönen Pickel
hinzu. Ich bezeichnete mich manchmal gern als eine Eiterproduktionsanlage. Und
mir ist jetzt schon klar, daß ich - um dieses Kapitel nicht zu überfrachten -
noch einmal werde versuchen müssen, mir meine inneren Qualspiele anzusehen und
die folgende Abhandlung aufzustocken.
Das größte
Verbrechen in unserer Familie war das Lügen. Und obwohl ich nach den bei uns
geltenden Anstandsregeln nie log, hatte ich immer das Gefühl, trotzdem in der
Nähe von Todsünden zu leben, so auch in der unmittelbaren Nähe des Lügens. Ich
mußte notgedrungen lügen oder beinahlügen, weil ich eben nicht in der Lage war,
das, was sich plötzlich
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