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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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mich nicht geirrt. Der Mann betrog relativ
offen, er schien auf seine Unverschämtheit fast stolz zu sein. Er schmiß die
Melonen auf seine Waage, und lange bevor sich die Anzeigenadel beruhigen
konnte, schrie er schon den frisch errechneten Preis laut über den Platz.
Vielleicht irrte er sich manchmal auch leicht nach unten, das war aber eher zu
bezweifeln. Wie eine Intelligenzbestie im Kopfrechnen sah er nicht aus. Er
quatschte zwischendurch fröhlich mit den Kunden - und wie geschossen schrie er
mitten in seinem Gerede schon die nächsten Phantasiezahlen. Er wurde immer
lauter, seine Stimme donnerte über den halben Altstädter Ring. Widerspruch war
bei dieser Bombenstimmung absolut nicht möglich. Alles mußte sowieso ganz
schnell gehen, die Schlange war lang und breit. Alles lief friedlich und
freundlich ab - bis zu dem Zeitpunkt, als sich eine Frau traute, die
Richtigkeit des ihr genannten Preises höflich in Frage zu stellen. Der Preis
komme ihr seltsam vor, und es hätte eventuell sein können, daß es sich um einen
kleinen Irrtum handelte. Der Mann blieb kurz sprachlos, starrte die Frau an. Sie
wiederholte ihre Bitte, den Preis ihrer zwei Melonen neu zu berechnen. Sie
wolle nur genau wissen, wie dieser zustande gekommen war.
    Der Mann
erholte sich und lachte endlich laut auf. Er schmiß die eine der beiden von der
Frau ausgewählten Melonen noch einmal auf die Waage, dann die zweite - und
präsentierte den neuen Preis. Der Gesamtpreis war jetzt tatsächlich um einige
Heller niedriger - ein fairer Kompromiß, hätte man meinen können. Um jegliche
kopfrechnerische Kontrollen irgendwelcher Schlaumeier zu stören, multiplizierte
und addierte er noch einmal alles laut nach, er tat dies in hohem Tempo und
voller Erregung. Immerhin öffnete er seine betriebsinterne Buchhaltung für
alle, jeder konnte »überprüfen«, wie er auf die neue Zahl gekommen war - auch die
arme Frau. Sie gab sich trotzdem nicht zufrieden und weigerte sich zu zahlen.
Ihr Pech war, daß die Ungeduld in der Schlange wuchs und sie von dort keine
Unterstützung erwarten konnte.
    - Hören
Sie gut zu, junge Frau, ich habe den Preis korrigiert! Haben Sie das kapiert?
Sie halten alle auf!
    - Es kann
nicht stimmen, tut mir leid. Wenn ich es überschlage - fünf mal drei und ...
und so weiter, komme ich höchstens auf fünfzehn. Ich konnte Ihnen bei dem Tempo
nicht folgen.
    Der
Verkäufer schmiß vor Wut beide Melonen auf einmal in die Schale und bespuckte
die Gewichte auf der gegenüberliegenden Plattform seiner angerosteten
Zungenwaage - von seiner guten Laune war nun nichts mehr zu spüren. Er
multiplizierte den Kilopreis in doppelter Lautstärke und in zwei getrennten
Rechenstufen neu, und siehe da - er hätte sich vorhin beinah selbst betrogen.
Er hatte beide Male viel zu wenig berechnet!
    - Danke,
danke für die Nachhilfe, junge Frau, es war viel zu wenig! schrie er
triumphierend. Ich habe mich zweimal zu Ihren Gunsten vertan!
    Die Masse
war durch die Dramaturgie der Szene so beeindruckt, daß die neue Multiplikation
ohne Widerrede als korrekt hingenommen wurde. Niemand konnte sich zu diesem
Zeitpunkt trauen, dem Marktmathematiker Paroli zu bieten. In meinem Kopf war es
sowieso schon schwarz vor Wut, ich hätte keine Zahl festhalten, geschweige denn
mit ihr operieren können. Für die Frau war der neue Preis ein schwerer Schlag.
Sie war schockiert und begann, laut zuweinen - dabei hatte sie sicher auch ihre
um die Melonen so gut wie betrogenen Kinder vor Augen. Und der Verkäufer schlug
nach, wurde immer höhnischer, rechnete der Frau noch einmal und noch einmal
vor, wie sie ihm Unrecht angetan und ihn beinah arm gemacht hätte. Alle sahen
dieser Demontage zu, ich, der Frauenbewunderer und zukünftige Beschützer auch.
Ich war nicht nur vollkommen sprachlos, sondern auch viel zu jung, um gegen den
Mann antreten zu können. Damit hatte ich diese öffentliche Hinrichtung - eine
Art mittelalterlicher Entehrung - leider zugelassen, zugelassen wie alle
anderen. Erst im Nachhinein malte ich mir immer wieder aus, was ich hätte tun,
wie ich der Frau hätte helfen können. Ich hätte vortreten müssen, mir das
ermittelte Gewicht aufschreiben sollen - und dann den Preis in aller Ruhe auf
einem Zettel ausrechnen können. In dieser Zeit hätte der Schwindelverkauf
weitergehen können.
    Das Drama
ging dann noch weiter. Der von jeglicher Schuld entlastete Verkäufer begann,
die Frau zu beschimpfen und sich als Anwalt der wartenden Masse aufzuspielen.
Er

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