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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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fettgedruckten Meldungen nur um eine vorab getroffene Auswahl
handelte. Diese Minimalnachrichten wurden oft fett oder sonstwie auffällig
gedruckt und bildeten auf densonst optimismusverwöhnten Zeitungsseiten einen
kleinen Schandfleck - und das sollten sie auch. Wenn es längere Artikel zu
gezielt ausgewählten Kriminalfällen gab, sollten diese in erster Linie
abschrecken und erziehen. Die verschwiegenen Fälle überließ man der
Mundpropaganda.
    Ich
persönlich wurde nie Zeuge eines Verbrechens, dafür erlebte ich einmal eine Art
öffentlicher Hinrichtung auf dem Altstädter Ring, ausgerechnet in unmittelbarer
Nähe der Stelle, an der im siebzehnten Jahrhundert die Elite des Landes -
Spitzen des böhmischen Adels und andere prominente Geistesgrößen, tschechischer
wie deutscher Zunge - dezimiert wurde. 1621 ließen die Habsburger, die bei der
Schlacht auf dem Weißen Berg gewonnen hatten, siebenundzwanzig edle Herren
evangelischen Glaubens köpfen. Dem gelehrten Jan Jesensky - dem Rektor der
Universität und Vorfahren von Milena Jesenskä - schnitt man als Erstes seine
gelehrte Zunge heraus. Zum Strafkatalog der Habsburger gehörte außerdem eine
beispiellose Vergewaltigung und religiöse Unterdrückung des ganzen Landes, es
folgten Enteignungen von gigantischen Ausmaßen. Die erwähnte Schlacht von 1620
war für mich, der in Prag 6 aufwuchs, immer präsent. Der Weiße Berg lag nur
einige Straßenbahnhaltestellen entfernt, und bei allen Ausflügen in die
westliche Richtung mußte man an diesem ehemaligen Schlachtfeld vorbeifahren.
Bei der jetzt zu schildernden Szene - etwa dreihundertfünfundvierzig Jahre nach
dem gegenreformatorischen Aderlaß - ging es nur um das Abschlachten einer einzigen
Frau.
    Prag der
sechziger Jahre - und was dort an Brutalität noch möglich war! Die Situation,
wie sie sich mir anfangs bot, war im Grunde vollkommen harmlos. Die
Hinzurichtende wollte nichts anderes als eine oder zwei Wassermelonen für ihre
Familie erstehen, ganz gewöhnliche Wassermelonen - außen grün, innen rot.
Zuckermelonen gab es bei uns damals so gut wie nie, wegen dieser hätte es
sichvielleicht gelohnt, einen Menschen umzubringen. Aber wegen einer
Wassermelone? Um die zu erzählende Geschichte zu verstehen, muß man eins
wissen: Wenn es in Prag Wassermelonen gab, dann gab es sie nur ganz kurze Zeit.
Der Einmarsch der Melonen erfolgte immer nur überfallartig, geschah ohne
jegliche Vorwarnung. Wenn diese grünen Kugeln irgendwo im Süden Mährens oder in
der Slowakei gereift waren, ergossen sich bald ganze Berge von ihnen - wie von
Naturgewalten der wäßrigen Zellteilung getrieben - in die Stadt. Diese Ströme
wurden dabei nur unzureichend kanalisiert. An geeigneten oder wenig geeigneten
Orten wurden volle LKW-Fuhren abgeladen und beim Straßenverkauf an den Mann und
die eine oder andere Frau gebracht.
    Schon beim
Aufbauen der Verkaufsstände bildeten sich lange Schlangen. Die Menschen hatten
ja Zeit. Der Verkäufer am Altstädter Ring, wo ich gerade unterwegs war, benahm
sich schon im Vorfeld des großen Ereignisses laut und war voller Lebens- und
Geschäftsfreude. Und weil er so beeindruckend extrovertiert war - im
Sozialismus war diese Art schamlos positiver Prachtlaune im Straßenbild eine
Seltenheit -, blieb ich stehen und bewunderte sein gekonnt inszeniertes
Schauspiel eine Weile. Daß ich so lange stehenblieb, hatte aber noch einen
anderen Grund: Ich hatte die Vorahnung, daß der Mann plante, in großem Stil zu
betrügen. Seine gute Laune erklärte ich mir mit seiner Vorfreude, an diesem Tag
noch reicher zu werden, als er es sicher schon war. In der Tschechoslowakei gab
es zwar fast gar keine privaten Geschäfte mehr, Gemüseverkäufer gehörten aber -
neben den schon erwähnten Fleischern und Kneipiers - zu denen, die doch ihren
heimlichen Privatschacher betreiben konnten. Daß diese Leute nicht nur den
Staat, sondern generell alle betrogen, also auch ihre Kunden, war ein
öffentliches Geheimnis. Der massenhafte Melonenverkauf bot einem
Bereicherungsprofi zusätzliche und schwer kontrollierbare Freiräume. Die
Passanten waren sogierig nach den Melonen, so beseelt durch die Vision der
baldigen Glücksexplosionen daheim, daß sie zu irgendwelchen Kontrollmaßnahmen
nicht fähig waren. Ihre trockenen Mundschleimhäute machten sie denkschwach. Für
die staatlich organisierte Melonenbescherung hatte man sowieso dankbar zu sein.
Dem unersetzbaren Verkäufer im Grunde auch.
    Das
Spektakel begann - und ich hatte

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