Faktor, Jan
unter uns. Dieser grimmig-geheimnisvolle
Mann sparte sich heimlich einen großen Schatz zusammen. Und ich weiß bis heute
nicht genau, wie, wieso und wozu.
Daß mein
Onkel entlarvt und auf dem von der fraulichen Einheitsfront errichteten Pranger
noch gnadenloserfestgezurrt werden konnte, war meine Schuld. Als Onkel ONKEL
einmal auf Dienstreise war, machten meine jüngere Cousine und ich uns daran,
den heiligen Innenbereich seines Zimmers systematisch zu durchforschen. Wir
stöberten dort so lange, bis wir beispielsweise einen Stapel an ihn gerichteter
Liebesbriefe entdeckten. Es waren vorwiegend ältere Briefe von einer Frau, die
es als seine Bekannte - oder nach wie vor doch etwas mehr? - aktuell noch gab.
Wir kannten sie jedenfalls. Daß eine Frau diesen düsteren weiß-beinigen
Fettklops überhaupt lieben konnte, überraschte mich maßlos. Aber noch mehr der
implizite Rückschluß, daß offenbar auch Onkel ONKEL lieben konnte. Mir lieferte
diese Entdeckung jedenfalls Stoff zum Nachdenken für mehrere Jahrzehnte. Damals
waren wir mit diesem Fund absolut überfordert, nach solchen immateriellen
Geheimnissen hatten wir im Grunde gar nicht gesucht. Die Peinlichkeit, die
einen Menschen befällt, wenn er unerlaubterweise von Intimitäten eines anderen
angehaucht wird, kenne ich aus dieser Zeit. Auch die Hemmung, die entlarvenden
Nacktheiten gegen den Betroffenen zu nutzen.
Natürlich
waren wir uns schon vor der Aktion sicher, daß es beim Onkel ONKEL viele
interessante und aufregende Dinge zu entdecken geben würde. Onkels hussitische
Wagenburg beherbergte ein seltsames Sammelsurium von Gegenständen, deren Zweck
uns allzuoft schleierhaft war. Bevor wir auf die Briefe gestoßen waren, hatten
wir beispielsweise hochwertige Gerätschaften fürs technische Zeichnen in der
Hand, muffig riechende Massage-Utensilien aus rotem Gummi, die offenbar
elektrostatisch aufgeladen werden konnten, weiter noch seltsam scharfkantige
Karteikartenreiter aus dünnem Blech - Tausende davon in vielen flachen
Schachteln; alle schon etwas angerostet, teilweise sogar ineinandergerostet.
Mein Onkel sammelte bekanntlich alles, sprach über die vielen Einzelposten
seiner Sammlung aber nie - so wie er über alles andere auch nichtsprach. Ihn
gezielt auszufragen wäre einer glatten Provokation gleichgekommen.
Dementsprechend wenig konnten ich und meine Cousine wissen, was uns bei unserer
Tiefenexpedition erwartete. Onkel ONKEL hielt sich lange Stunden, ganze Abende,
lange Nächte in seiner immer voller werdenden Burg auf, erklärte oft nicht
einmal dann, was er trieb, wenn er uns alle mit unsäglichen Arbeitsgeräuschen
störte. Manchmal legte er seinen Neutrino-Blick vollständig ab und glotzte so
ungnädig hegemonial um sich, daß einem im Kopf alles zu Staub zerfiel, was man
sich über ihn notdürftig zusammengereimt hatte.
Was uns zu
unserer Aktion angetrieben hatte, war klar: Alles, was wir über den Onkel und
Vater zusätzlich in Erfahrung bringen konnten, hätte für das Miteinander mit
ihm vorteilhaft sein können. Jeder, der es schaffen würde, in diesen Mann kurz
hineinzulugen, hätte ihn sicher besser verstehen, folglich sich vor ihm auch
zielgerichteter in acht nehmen können. Während ich die aufregenden, für meinen
damaligen Geschmack allerdings unvorstellbar schamlosen Briefe las (»... laß
Dein Pimmelchen meine Lippchen aufknöspeln ...« - so ungefähr, ich paraphrasiere
hier natürlich nur), wühlte sich meine hausfraulich begabte Cousine weiter und
tiefer in die Wäschekommode ihres Vaters hinein. Sie war vorsichtig, legte die
sortiert aufbewahrten Pullover, Flanellhemden und Unterhosen stapelweise zur
Seite, um sie platzgleich wieder zurücklegen zu können. Als sie sich in die
hinterste Ecke vorgearbeitet hatte, entdeckte sie ein verschnürtes Säckchen.
- Hier ist
etwas.
- Was?
- Etwas
Größeres.
Das
stimmte. In dem Sack steckte eine Blechkassette. Diese war etwas größer als ein
Band des Großen Konversationsbrockhaus, nur viel leichter. Die Kassette war
natürlich verschlossen. Beim Schütteln konnte man darin etwasPapierenes
vermuten. Wir tippten auf Pornographie, meinten damit allerdings so etwas wie
Fotos nackter Frauen auf Hochglanzpapier, also kunstvoll beleuchtete Akte in
Schwarzweiß. Es hätten dort aber auch Fotos diverser, uns vollständig
unbekannter Geliebter des Onkels lagern können. Mit dem Wort »Neugier« wäre
unser heißer Erregungszustand vollkommen falsch beschrieben, ich war jedenfalls
außer
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