Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
Vom Netzwerk:
mir. Wir waren vielleicht nah dran zu erfahren, welche Frauen sich zu
diesem Mann hingezogen fühlten, sich als passend zu ihm empfanden, passender
als seine Frau Eva, also meine drahtige Tante der sieben Fremdsprachen. Meine
Cousine zitterte leicht, ich war ratlos und als Verantwortlicher dieses
Kommandounternehmens von einem Schüttelfrostanfall auch nicht weit entfernt.
Mit Schlössern kannte ich mich damals noch nicht aus, hatte beispielsweise die
relativ einfachen Innereien von einem Schloß mit Hakenfalle noch nie nackt
gesehen. Grobe Gewalt anzuwenden kam natürlich nicht in Frage. Und mit den auf
dem Fußboden liegenden und noch nicht ganz durchgesehenen Briefen vor Augen
fühlten wir uns beide so unwohl, daß es nicht in Frage kam, die geheimnisvolle
Kassette hinauszutragen und bei der Frauenschar abzuliefern. Mir kam bald eine
rettende Idee, die meine Karriere als Bastler und Gelegenheitshandwerker
begründen sollte. Mir fiel ein, daß ich beim letzten kleinen Ausflug in Onkels
Wagenburg Spezialwerkzeuge entdeckt und bewundert hatte und ich wußte noch, in
welchem Regal sie lagerten. Ich zog Onkels große Hebammentasche hervor, öffnete
sie, starrte auf deren Inhalt und wartete auf irgendeine rettende Idee.
Anschließend untersuchte ich noch einmal gründlich die Blechkassette und prüfte
mögliche Schwachstellen. Auf den ersten Blick hatte sie leider keine. Alle
Kanten und Ecken waren mit zusätzlichen Formteilen aus verziertem Blech
verstärkt und fest vernietet, die Schloßumgebung war sogar mit einer
Messingplatte abgedeckt. Die beiden Scharnierleisten abzuschrauben war auch
nicht möglich. Sie waren mit Nietenköpfen übersät. Daß ich die magische
Kassette am Ende doch noch knacken konnte, macht mich - wenn ich an die vielen
Nieten denke - bis heute stolz. Mir fiel auf, daß der Deckel mit dem unteren
Teil zwar mit einem durchgehenden und massiven Scharnier verbunden war, der
Verbindungsstift, der durch die einzelnen Ösen führte, im Grunde aber nur aus
einem einzigen langen Draht bestand. Dieser Stift war links und rechts nicht
abgesichert, ragte auf einer Seite sogar über das Ende des Scharniers hinaus.
Ich holte mir eine langgriffige, vorn sich verengende Flachzange, faßte das
eine lose Ende des Stifts, drückte fest zu - und zog. Meine Cousine hielt dabei
die Kassette fest zwischen ihren aufgeregt heißen Schenkeln. Beim ersten
Versuch rutschte ich mit der Zange noch ab. Das nackte Drahtende bekam dabei
leichte Kratzer. Beim zweiten Versuch gelang mir der Zugriff, und der Stift
setzte sich in Bewegung. Ihn anschließend mit der Zange großflächiger zu fassen
und ganz herauszuziehen war kein großes Problem mehr.
    Mit dem,
was wir drinnen erblickten, handelten wir uns leider ein riesiges Problem ein -
ein ähnliches, mit dem sich auch Geheimdienstler dauernd herumschlagen müssen.
Sie dürfen allzuoft nicht offenbaren, was sie wissen. Und auf uns kamen
Entscheidungsqualen zu, von denen wir bislang keinen blassen Schimmer gehabt
hatten. Die Kassette war voller Geld. Sie war voll von grünen Hundertkronenscheinen,
die wir im Alltagsleben nur manchmal und nur einzeln zu sehen bekamen. In
unserem Alltag bedeutete schon eine Zehnkronennote sehr viel Geld. Als
Taschengeld kannten wir nur Münzen.
    - So sieht
eine Million aus, sagte meine Cousine.
    - Oder
Hunderttausend. Davon könnte man Tausende Eistorten kaufen. Hunderte von
Rollschuhen...
    - Ein
Auto.- Wir müssen es zählen. Das mit dem Scharnier - das mache ich nicht noch
einmal. Das Stieleis »Nanuk« kostete damals eine Krone, das stiellose »Eskymo« fünfzig
Heller, eine Kugel Eis siebzig Heller. Und die große Eistorte, der luxuriöse
Höhepunkt der tschechischen Eisherstellungskunst, kam auf ganze dreizehn
Kronen. Eine ganze Torte bekam ich persönlich nur ein einziges Mal geschenkt.
Kino kostete drei, vier oder fünf, bei Überlänge maximal sieben Kronen. Onkels
grüne Scheine waren gebündelt, ein kleines Bündel enthielt fünfzig, ein großes
hundert Scheine - also jeweils fünftausend oder zehntausend Kronen. In der
Kassette steckten demnach zweihundertsechzigtausend Kronen. Für uns war dieser
Betrag unvorstellbar. Ich war dreizehn, meine kleine Cousine knapp zwölf. Die
große Cousine hatte schon einen beachtlichen Busen, kam uns beiden zu
vernünftig vor und war als Konspirationspartnerin nicht zu gebrauchen. Ich und
meine kleine Verbündete verbrachten daraufhin ein ganzes Jahr mit Überlegungen,
wie wir die Sache auffliegen

Weitere Kostenlose Bücher