Faktor, Jan
gleichzeitig auf die
schlimmste Art und Weise abstoßen. Ich ekelte mich sowieso von klein auf vor
jeglicher Gleichförmigkeit, für irgendwelchen kollektivistischen Freudentaumel
ließ ich mich unter Zwang nie begeistern. Trotzdem konnte ich auch blind vor
freiwilliger Entzückung werden, wenn mich - mich in meinen emotionalen Untiefen
- die erotisch angehauchte Vorstellung packte, ich könnte in einer pulsgleich
eruptierenden Masse aufgehen.
In meiner
Kindheit war mir seitens meiner Nächsten so viel Bewunderung entgegengebracht
worden, daß ich schon aus Selbstschutz nicht alles, was man ernst meinte und mir
ernsthaft klarmachen wollte, ernst nehmen durfte. Diesen meinen
Wohnungsnächsten brachten meine regelfeindliche Sturheit und meine ironische
Gnadenlosigkeit später bittere Früchte ein - nicht unbedingt eruptionsartig,
insgesamt aber reichlich. Meine Aushärtung und Aussturung könnte man eventuell
auch mit meinem politischen Dasein im Zentrum Europas erklären, das künstlich
ein sowjetischasiatisches Flair verpaßt bekommen hatte - könnte man sozusagen
auf die Auswirkungen meines tektonisch unsicheren Standorts zurückführen, eines
Standorts am Kontinentalriß zwischen Orient und Okzident, wer weiß. Ohne
Sündenböcke präsentieren zu wollen, mußte ich irgendwann versuchen, mir darüber
etwas Klarheit zu verschaffen - und dabei gleichzeitig mein zuhaus-hospitalisiertes
Ich, meine Mutter mit ihrer ganzen Verwandtschaft und von mir aus auch das ewig
gebeutelte russische Volk entlasten. Vielleicht treffe ich diesen Sachverhalt
mit der folgenden Formulierung: Da ich im Schoß des Sowjetreiches wie gefangen
war und dauerhaft mit einer Mentalität konfrontiert wurde, die durch
mongolische Unterjochung, zaristisch-animaloide Menschenhaltung und
leninistisch-stalinistische Massenschlachterei geprägt war, mußte ich - um mein
historisch entrücktes und eher nach k.-k.-Gemütlichkeit gierendes Seelchen zu
retten - mit eigensinniger Ironie arbeiten, mußte im Leben Brechstangengewalt
anwenden, Brechmittel einsetzen, mit Stilbrüchen provozieren lernen. Wobei ich
außerdem noch die kraftvolle Art der Millionen von schwimmenden oder trabenden
Fahnenträger aus China in mein Dasein zu integrieren hatte.
Die vielen
seltsamen Kraftwellen, die auf mich in meiner Kindheit einschlugen, in diesem
Text zu sortieren und gegeneinander abzuwägen, wird mich noch einige Mühe
kosten. Die asiatischen Einflüsse mehrten sich sogar. Nicht nur daß meine
Mutter die Besetzung Tibets durch die Chinesen noch frisch in Erinnerung hatte
und mit mir darüber weiter trauerte, an unserer Grundschule tauchte eines Tages
ein echter asiatischer Prinz auf. Er kam aus Kambodscha, und sein Name war
Norodom Sihamoni. Prinz Sihamoni, der Sohn des Königs Sihanouk, kam in die
Tschechoslowakei, um in meiner Stadt europäische Ausbildung zu genießen. Er
wurde mein Mitschüler, war plötzlich einer von uns - gleichzeitig aber auch nicht.
Er schwebte zwischen und über uns, blieb ein anderer. Er lernte allerdings sehr
schnell Tschechisch, seine eigenhändig gebundenen Schleifen an seinen
maßgefertigten Schnürstiefeln sahen auch bald passabel aus. Ausgerechnet als
ich dieses Kapitel zu schreiben begann, wurde Sihamoni vom kambodschanischen
Kronrat zum König von Kambodscha gewählt - ohne es unbedingt zu wollen.
Norodom
war ungeheuer schön, war eindeutig der Schönste von uns, in seiner
aristokratischen Vornehmheit blieb er sowieso konkurrenzlos. Die Roten Khmer
gab es damals noch nicht, von der Ausrottung von Bewohnern ganzer Städte konnte
man zu diesem Zeitpunkt noch nichts ahnen. Pol Pot war nach seinem erfolglosen
Studium in Paris allerdings wieder in die Heimat zurückgekehrt. Für mich stand
mein Prinz wider besseres Wissen eher für einen exilierten Tibeter - für einen
Mitkämpfer und Leidensgenossen des Dalai Lama.
Prag war
während meiner Kindheit sowieso voller Exilanten, sie gehörten zum Straßenbild.
In die Tschechoslowakei kamen nach dem Aufstand der griechischen Kommunisten -
Ende der 40er Jahre, also noch vor meiner Geburt - viele griechische Kinder,
nach dem Militärputsch von 1967 folgten weitere Griechen. Nach dem Bruch ihres
Landes mit der Sowjetunion waren bei uns viele stalingläubige Jugoslawen
geblieben, die zu ihrem verräterischen Tito nicht zurückkehren wollten oder
konnten. Nach und nach schwappten immer wieder kleinere Emigrantenwellen zu uns
herüber, begreiflicherweise aus Ländern, in denen der Sozialismus
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