Faktor, Jan
Geheimdiensteifer knisternde
Ameisenhaufen. Ähnlichemsig ging es in der Weltföderation der
Gewerkschaftsbewegung SOF und in der Zentrale des Internationalen
Studentenverbandes zu diese beiden Niederlassungen lagen am Rande der Altstadt,
und ihre munteren Funktionäre hatten die allerbeste Sicht auf den Sockel des
1962 abgerissenen Stalindenkmals. Speziell in der »Universität des 17.
Novembers« bekamen die Studenten nicht nur ihre zusätzliche marxistische
Überbauorientierung, man bildete in ihnen gleichzeitig zukünftige Putschisten
und Politoffiziere aus, die irgendwann später Regierungsmitglieder oder sogar
Regierungschefs werden sollten. Ihr heimatliches Einsatzgebiet sollte in der Zukunft
radikal umgebaut werden und unbedingt dem aktuellen Stand der Weltrevolution
entsprechen. Die Ausbildungsstätte der in unserem Land weilenden libyschen
Staatsterroristen befand sich unweit des Schlachtfeldes vom Weißen Berg. Diese
Männer hatten in dem studentischen Milieu von Prag einen Sonderstatus. Und
vollkommen außerhalb der offiziellen Realität lebten bei uns radikale
italienische Kommunisten, die mit ihrem geheimgehaltenen Sender die ersehnte
italienische Revolution vorantreiben wollten. In ihrer Heimat drohten ihnen
Gefängnisstrafen. Einem von ihnen auch wegen der Hinrichtung von Mussolini, die
seinerzeit spontan auf die Partisanenart, also nicht ganz rechtsstaatlich
erfolgt war.
Und unser
Prinz? Er war noch ein Kind und hatte mit derartig fortschrittlichen Umtrieben
überhaupt nichts zu tun. Norodom Sihamoni sollte bei uns einfach umfassend und
erstklassig ausgebildet werden - wie ich auch -, und er wollte sowieso kein
Revolutionär, sondern ein Tänzer werden. Der sozialismusfreundliche König hatte
seinen ersten Sohn nach Moskau und den zweiten nach Peking geschickt - erst der
vierte ging später nach Paris. Prinz Sihamoni war in meiner Schule - diese war
nach dem kraftvollen Rebellen und Selbstmörder Majakowski benannt - natürlich
der absolute Star. Schon wegen Norodoms edlerGesichtszüge waren wir im
Vergleich zu ihm nur die graue Volksmasse, und wir blieben es die ganze Zeit.
Ich hatte aber überhaupt nichts dagegen. Er war einfach etwas Höheres, ich wäre
sogar gern sein Untertan geworden, wenn ich unter seiner Führung beispielsweise
gegen die Chinesen in Tibet hätte kämpfen können. Daß ich ihn als ein höher
angesiedeltes Wesen anerkannte, hatte sicher auch damit zu tun, daß ich mich
dank meiner Herkunft eher als ein Paria, Ghettomensch und potentiell
Sonderzubehandelnder zu fühlen hatte. Norodom war immer tadellos gekleidet,
bewegte sich im Gegensatz zu mir anmutig, und sein Rücken war immer gerade. Ich
hatte schon damals eine starke Skoliose und fand zu Norodom leider - trotz
seiner enormen Freundlichkeit - keinen wirklichen Zugang. Unser
klassenschlimmster bulgarischer Rebell Dschagarow verschaffte sich ihn mit
seinen subversiven Angeboten aber auch nicht. Er versuchte den Prinzen zu
verrohen, zeigte ihm, wie man schuleigenes Eßbesteck bricht, um mit den
Stummeln verriegelte Fenster zu öffnen, führte ihm beim Mittagessen vor, wie
sich mit einem Messer, wenn man es unter die Tischplatte schob,
maschinengewehrähnliche Vibrier-Salven produzieren ließen. Norodom sah sich
alles höflich an, mehr nicht. Dschagarow hoffte eine ganze Weile, bessere
Karten als wir alle zu haben, und zeigte gelegentlich auf eine Weltkarte an der
Wand. Bulgarien lag von Kambodscha etwas weniger weit entfernt als die
Tschechoslowakei.
- Kommst
du Fußball spielen? fragte ich den zukünftigen König einmal.
- Nein,
tut mir leid, Georg, ich habe Ballettunterricht. Vielen Dank für die Einladung.
Bei
Schulfesten trat Norodom dann tatsächlich - es war exotisch und vollkommen
unüblich bei uns - als Solotänzer auf. Und er tanzte zu einer Musik, wie wir
sie noch nie zuvor gehört hatten. Seine Auftritte stellten alle anderen
Festbeiträge in den Schatten und enthüllten damit gleichzeitig deren
Primitivität. Was wir - die Hoffnung der sozialistischen Republik - vorführten,
war eingetrichterter Schwachsinn, mit dem man uns an den Pioniernachmittagen
gequält hatte. Norodom trug beim Tanzen selbstverständlich keine Pionieruniform
wie wir, sondern ein enganliegendes, glitzerndes Kostüm mit fein gestickten
Mustern. Zu allen seinen unerreichbaren Vorzügen kam noch hinzu, daß ihn eine
persönliche Freundschaft mit der kultivierten Direktorin der Schule verband. Es
wurde oft darüber gesprochen, daß er sie auch
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