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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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trotz der
tüchtigen Hilfe der Sowjetunion und der anderen Bruderländer noch nicht gesiegt
hatte, seine Errichtung also vorerst gescheitert war. In der Regel handelte es
sich bei diesen »Wellen« aber nur um die Kerncliquen der jeweiligen
Befreiungsbewegungen oder um die Kreise der radikalsten Fortschrittsbringer.
Nachdem in Indonesien unter Suhartos Kommando Hunderttausende echte oder
vielmehr angebliche Kommunisten (zusätzlich auch noch Chinesen) abgeschlachtet
worden waren - meine Mutter berichtete mir detailliert darüber -, kamen leider
kaum Indonesier zu uns, obwohl an den Vorbereitungen des Aufstands auch
tschechische Berater beteiligt gewesen waren. Für eineFlucht war Prag einfach
zu weit, China war näher - und der Bruch zwischen dem Sowjetblock und China war
damals schon vollzogen.
    Zu uns
strömten dafür viele ebenfalls fortschrittliche Kräfte aus ganz anderen Teilen
der Welt. So füllte sich die Tschechoslowakei mit explosiven
Bewußtseinsinhalten von Widerständlern aller Haut- und Haarfarben. Dank der
gemeinsamen Idee der Weltrevolution wuchs damit aber gleichzeitig auch so etwas
wie ein einheitliches Riesenkorps zusammen. Dafür hatten jedenfalls die in Prag
residierenden Referenten und Agenten aus der Sowjetunion zu sorgen. Die
sowjetische Botschaft lag unweit meiner Schule, das Territorium der Residenz
und der Handelsvertretung am Sibirischen Platz, das ständig erweitert und
ausgebaut wurde, lag sogar neben und gegenüber unserem Schulgebäude - die
Russen umringten und umfaßten uns bei ihren Geländegewinnen wuchtiger als die Chinesen,
regelrecht physisch und vollkommen vitrinenlos.
    Von der
wachsenden Präsenz der Russen bekamen die vielen Schwarzafrikaner, Iraner,
Palästinenser oder Portugiesen, die in der Goldenen Stadt glücklich angekommen
waren, nicht unbedingt etwas mit, sie hatten andere Sorgen. Ihre Bewegungen
mußten weiterfinanziert, die zurückgelassenen Kampfgenossen außerdem mit Waffen
versorgt werden. Unser friedliches Land verdiente nebenbei mit Waffengeschäften
recht gut, unsere traditionsreiche Rüstungsindustrie war auf Weltniveau. Der
damalige Exportschlager - der heißbegehrte Plastiksprengstoff »Semtex« - war in
aller Munde. Wir hatten aber noch viel mehr zu bieten: mehrere Panzertypen,
gepanzerte Truppentransporter OT-64 SKOT (das beliebteste Transportmittel von Idi
Amin Dada!), leichte und schwere Kanonen, Flakgeschütze 30 mm und die
Nachfolgemodelle der legendären leichten Maschinengewehre BREN. Natürlich auch
unsere vorzüglichen 9-mm- oder 7,65-mm-Pistolen. Und wenn auch vieleder
leichteren Waffen bereits gebraucht waren, waren sie alle gut konserviert und
gepflegt worden. Die in rauhen Mengen produzierte Qualitätsmunition
unterschiedlichster Kaliber dürfte bei dieser Aufzählung auch nicht vergessen
werden. Später kamen noch die fortschrittlichen Mini-Kalaschnikows »Skorpion«
hinzu, die tschechische Variante von »UZI submashine gun«. Man bot diese
zusammenklappbare Neuigkeit auch heimlich und preiswert auf dem Weltmarkt an.
Bald interessierten sich für dieses tschechische Qualitätserzeugnis auch
Gangsterkartelle aus den USA und die Mafia.
    Unser aus
hegemonialer Sicht unverdächtiges Land hatte besonders in Afrika einen
hervorragenden Ruf, dort war die Tschechoslowakei eine Art Lieferweltmacht; als
eine solche war sie aus kommerziellen Gründen auch mal bereit, die eine wie die
andere kriegführende Seite zu beliefern. Und meine goldstaubige Stadt war - wen
würde das wundern - in den Kreisen der aktiven Revolutionsplaner ausgesprochen
beliebt. Vor den leblosen und kältedurchströmten Straßen von Ostberlin hatten
die Revolutionäre offenbar fast so viel Angst wie vor den Folterkellern in der
alten Heimat. Prag entwickelte sich so zu einem globusweiten Drehkreuz und
wurde neben Moskau eines der Sammelbecken aller möglichen Politträumer.
Natürlich kamen diese warmblütigen und Wärme gewohnten Menschen nicht nur wegen
der Schönheit der Stadt und der Freundlichkeit unserer Parteifunktionäre zu
uns. Die relativ weltoffene Metropole bot viel mehr Tarnmöglichkeiten als zum
Beispiel Wladiwostok, Minsk oder Greifswald. Und die Westgrenzen waren nicht
weit. Für diese Sorte unserer ausländischen Gäste wurde in Prag sogar eine
besondere Universität gegründet - die »Universität des 17. Novembers« - sowie
andere geheimdienstliche Trainings- und Ausbildungslager der Spitzenklasse. Die
sechs mächtigen Außenhandelsfirmen waren vom

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