Faktor, Jan
privat besuchte, regelmäßig bei
ihr zu Hause speiste, mit ihr ins Theater und in die Oper ging. Wahrscheinlich
sollte sie - auftragsgemäß, versteht sich - versuchen, ihm die königliche
Familie zu ersetzen, die selbstverständlich in Kambodscha geblieben war. Zu den
Chinesen ging der Prinz mit uns nie.
Daß ich
von angehenden afrikanischen Bürgerkriegstreibern, haßerfüllten portugiesischen
Kommunisten oder von iranischen Schah-Gegnern umgeben war, daß ich diese
aktuellen, zukünftigen oder ehemaligen Wüteriche der Weltgeschichte
ununterbrochen vor Augen hatte, war an meinem Werden natürlich auch beteiligt,
egal wie begrenzt. Einige von diesen Leuten waren eher ruhigere Zeitgenossen,
die sich einfach nur zur Ruhe setzen wollten und froh waren, keinen sinnlosen
Kampf mehr führen zu müssen. Eine etwas kleinwüchsige iranische
Widerstandstochter liebte ich heimlich, ihre Eltern, die ich auch kannte, hoben
meine schöne Stadt in den Himmel, vom Haß auf ihren bösen Schah Resa Pahlewi
war in dieser Familie nicht viel zu spüren.
Mir und
meiner Mutter war sowieso klar, daß die vielen neuprager Radikalinskis später,
wenn sie in ihrer Heimat zum Zuge kommen sollten, irgendwann wieder gestürzt
oder beseitigt werden würden - und sie taten uns leid. Meine Mutter hielt
punktuell auch viel von konservativen Traditionalisten, verehrte Herrscher wie
den Kaiser Haile Selassie von Äthiopien, sprach mit Bewunderung über
historische Gestalten wie den friedliebenden indischen König Asoka, mit dem sie
sich wegen eines Artikels über Buddhismus beschäftigt hatte. Leider konnte sie
auch Väterchen Stalin nicht ganz aus ihrem Herzen vertreiben - ihr imponierte
immer noch, lange nach seinem Tod, daß er an seiner Uniform keine Orden
getragen hatte, obwohl er sie sich hätte tonnenweise organisieren können. Und
sie zitierte gern - wenn auch mit einem ironischen Lächeln - den berühmtesten
seiner Sprüche: »Wir Kommunisten sind Menschen eines besonderen Schlags.« In
einem Winkel ihres Herzens zählte sie sich vielleicht immer noch zu dieser
schlagkräftigen Sonderklasse Mensch.
Zu den
Chinesen hatte meine Mutter selbstverständlich eine sehr differenzierte Meinung
- vor ihnen nur Angst haben wollte sie nicht. Sie erzählte mit großer
Bewunderung, wie das ganze Riesenvolk irgendwann die Order bekommen hatte, die
gesamte Fliegenpopulation totzuklatschen und darüber, daß die bedrohliche
Fliegenplage dank der Tag und Nacht um sich schlagenden Chinesen tatsächlich
auch besiegt worden war. Leider war meiner Mutter, eventuell aber auch dem
»Spiegel« damals entgangen, wie es zu dieser Plage überhaupt gekommen war. Man
weiß es inzwischen. Das chinesische Volk sollte, um die sozialistische Ernte
vor unberechtigten und nutzlosen Fressern zu schützen, durch Dauertrommeln die
Vögelpopulation dezimieren. Die chinesische Bevölkerung hatte auch diese
frühere Order befolgt und hatte diszipliniert und ununterbrochen getrommelt -
statt zu arbeiten -, trommelte so lange, bis die armen Vögel vor Erschöpfung
vom Himmel fielen. Das größte Trommelkonzert der Weltgeschichte war damit zu
Ende - bald danach brach die Fliegenplage aus.
Warum
erzähle ich das alles? Ich wußte von meiner Mutter einiges, trotzdem nicht
alles. Und ich blieb beispielsweise, was den Einblick in meine Seele angeht,
bis zu meiner späten Heirat ein Ignorant - ein mitteilungsfeindlicher
obendrein. Die Menge von ungelösten Fragen, die ich in mir nur verwahren,
höchstens unproduktiv herumwälzen mußte, wurde immer größer, manche meiner
Gefühlswunden blieben lange Jahre suppend frisch. Eben dank meiner
Unbelecktheit. Ich konnte mir beispielsweise nicht erklären, wieso ich ein so
böser Mensch geworden war. Ich wußte nicht, aus welchen Quellen sich die in mir
lauernden Aggressionen speisten, warum ich nicht auf irgendwen, sondern
ausgerechnet auf meine liebe Mutter bitterböse allergisch bis - und mit der
Zeit zunehmend - unversöhnlich wütend werden mußte. Nebenbei fiel mir immer
wieder auf, daß ich mich - beim Durchsehen unseres »Spiegels« beispielsweise -
von allen möglichen häßlichen und unappetitlichen Bildern angezogen fühlte. Wo
auch immer es nach Endzeitstimmung, Auslöschung und nach existentiellen Implosionen
aussah oder roch, dort sah ich zuerst hin - und offenbar wollte ich auch gern
dahin. Bei einem anderen Lauf der Geschichte hätte ich mich eines Tages
vielleicht in einem klassisch ausgestatteten Vernichtungslager
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