Faktor, Jan
allem über die
wirtschaftlichen Fortschritte in der Volksrepublik, zeigten uns aber auch die
wunderschöne Natur des Großreiches und stellten uns ihre Menschen vor - das
heißt die unterschiedlichen, in Liebe und Respekt miteinander koexistierenden
Volksgruppen. Großen Raum nahmen dabei immer Großauftritte von
Folklore-Kleinensembles und -Riesenensembles ein. Nachdem die Umwälzungen
während der KULTURREVOLUTION an der Reihe waren, sollten die Prager offenbar
gleich mitinfiziert werden. Die Präsentationen wurden nicht nur weiter
perfektioniert, sie wurden immer penetranter.
Daß diese
marxistisch-maoistische Propagandamaschine - mitten im sowjetischen Machtblock
- eindeutig etwas Subversives hatte, machte sie für uns um so interessanter.
Farbfotos waren für uns damals eine absolute Seltenheit, die Chinesen stellten
aber ausschließlich Farbfotos aus. Und was für welche! Sie kamen aus der
irgendwo offenbar doch existierenden, unwirklich leuchtenden Kodakwelt, die wir
bis dahin höchstens nur dem Namen nach kannten. Die Farben waren schreiend
klar, wirkten aber nicht unecht. Vorherrschend war natürlich - auf dem
Hintergrund der blau-, grau-oder grünuniformierten Massen - das Rot der
synchron geschwenkten Fahnen. Wir verstanden vieles nicht, studierten die Fotos
deswegen gründlich - vor allem auch die in einwandfreiem Tschechisch verfaßten
Bildunterschriften, Kommentare und längeren informativen Zusammenfassungen.
Fanatismus hatten wir in den Gesichtern unserer leibhaftigen Mitmenschen damals
nie zu sehen bekommen, entdeckten ihn zum ersten Mal an den chinesischen
Massenmenschen und bildeten uns damit in gewaltigen Schritten fort. Das alles
war uns aber nicht nur unverständlich und fremd. Die stumme, emotionsgeladene
Pantomimik der Abgebildeten war durchaus nachvollziehbar - und wir fühlten, daß
vieles davon, was diese Menschen uns sagen wollten, nicht nur gelogen oder nur
für die Kameras einstudiert war. Einiges davon geschah im fernen China
wirklich.
Während
der Kulturrevolution erfuhren wir natürlich auch ALLES über Mao Tse-tung. Mao
stand jetzt unangefochten im Zentrum der Berichterstattung, sein Kopf und sein
Körper waren proportional immer die größten, kompositorisch wurde ER auf den
einzelnen Bildern ebenfalls immer unmißverständlich dominant plaziert. Die
Ausstrahlung seiner Güte und seiner Gemütsruhe war bestechend. Die Fotografen
und Retuscheure hatten immer ganze Arbeit geleistet. Auch Nie Yuanzi sah immer
vollkommen aus - wie eine unsterbliche Göttin, deren Kraft nie nachlassen
würde. Sie ist heute - vierzig Jahre später - leider eine gebrochene einsame
Frau, die unter anderem auch aufgrund ihrer insgesamt siebzehn Jahre Haft
erkannt hat, gewaltige und zu sprunghafte Fehler begangen zu haben.
Daß Mao in
China geistig der Größte war, wollten wir den Chinesen gern lassen. Daß er
gleichzeitig auch der größte Wissenschaftler, der ausdauerndste Schwimmer und
der begabteste Schriftsteller des Landes war, konnten wir den Propagandisten
aber nicht ganz abnehmen. Ich kann mich an das Bild des schwimmenden dicken Mao
im Jang-tse erinnern. Bei seiner Planscherei wurde er von schönen
Rotgardistinnen begleitet, diese schwammen im Kreis um ihn herum und schafften
es, nebenbei noch die roten Fahnen hochzuhalten und nicht naß werden zu lassen.
Dieeigentlichen Rekordhalterinnen waren eigentlich sie, die es auf der
Wasseroberfläche viel schwerer hatten. Waren wir klüger als die
Propagandaspezialisten des chinesischen Außenministeriums? Wurde die
Intelligenz des tschechischen Volkes etwa unterschätzt? Zuverlässige
Detailinformationen bekam ich erst vierzig Jahre später. Inzwischen weiß ich
beispielsweise, daß der stinkig-ungewaschene Mao seine jungen Begleiterinnen
gern der Reihe nach beschlief. Und zwar wirklich ausdauernd. Außerhalb seiner
großen Auftritte war der dicke Mann dagegen ein fauler Müßiggänger, der gern
unterwegs war. Er ließ sich in seinem privaten Luxuszug oft einfach durchs Land
fahren.
Manchmal
trauten wir uns sogar auf das chinesische Botschafts- und Residenzterritorium,
wurden in einem kleinen Empfangsraum höflich begrüßt und reichlich beschenkt:
mit Maos Roten Büchern, Fähnchen, Plakaten, Broschüren. Hinterher amüsierten
wir uns über unsere Beute, sind aber nie Feinde des chinesischen Volkes
geworden. Wir sahen, wie enorm fleißig die Chinesen waren. Wir staunten über
die Bilder der Menschen, die
Weitere Kostenlose Bücher