Faktor, Jan
ununterbrochen Tausende Kilometer marschieren
konnten, wir bewunderten unermüdliche Feldarbeiter, die beim Ackern
gleichzeitig sogar lesen lernten. Jeder von ihnen trug am Rücken ein großes,
auf Leinen gemaltes Schriftzeichen, so daß die anderen Lernenden und
gleichzeitig Arbeitenden immer ein oder mehrere dieser Zeichen vor Augen hatten
- und sie konnten sie sich nach und nach gut einprägen. Wir kannten auch die
Legende von einem armen Jungen aus der vorrevolutionären Zeit, der nur nachts -
und bei nur schwacher Leuchtkäfer-Beleuchtung - hatte studieren können, bis er
ein blinder revolutionärer Gelehrter geworden war.
Vaters
Mutter Ludmila hatte mir oft geraten, mich von Skopka fernzuhalten. Daß ich so
begeistert von seiner wißbegierigen Besessenheit erzählte, und natürlich auch
vonseinem Drang, die engen Grenzen unseres Alltags - ideologiefrei, nur technikgestützt
- zu sprengen, behagte ihr einfach nicht. Sicher hatte sie dabei die falsch
gewählten Freunde ihres Sohnes, meines mißratenen Vaters, vor Augen. RÜHRE DAS
NICHT AN, RÜHRE JENES NICHT AN! warnte sie mich. Aber ausgerechnet mein Freund
Petr Skopka rührte alles mögliche an, was andere Menschen in Ruhe ließen -
entweder aus Vorsicht oder aus Mangel an Phantasie. Großmutter Ludmila hatte,
was Petr betrifft, nicht ganz unrecht. Seine zusätzliche große Begabung bestand
ausgerechnet darin, auch äußerlich harmlosen Dingen - wenn es der Wissenschaft
diente - ein gewisses Sprengpotential zu entlocken. Skopka war der erste
Mensch, dem ich mich wegen seiner Außergewöhnlichkeit und seines
Einfallsreichtums absolut nicht entziehen konnte. Er war mir dauernd meilenweit
voraus. Und daher durfte ich ihn, wenn ich die Zeichen der Zeit nicht
verschlafen wollte, auf keinen Fall aus den Augen lassen. Er hatte Ideen, die
ich selbst auch gern gehabt hätte - sie aber einfach nicht bekam. Zum Tausch
dieser Rollen kam es zwischen uns nie. Skopkas Ideen zündeten in mir aber
wenigstens heiß und intensiv, wenn auch erst mit einer kleinen Verspätung.
So war es
schließlich nicht verwunderlich, daß ich an der Seite dieses Verführers einer
der ersten Flüssigbomben-Terroristen von Prag wurde - beinah jedenfalls.
Natürlich hatte dies eine längere Vorgeschichte. Meine Mutter hatte mir etliche
Jahre davor - etwa um das Jahr 1960 - über den algerischen Befreiungskampf und
den gnadenlosen, auch in Frankreich ausgetragenen Bombenterror viel erzählt,
berichtete mir auch über den langgezogenen tiefen Konflikt zwischen Sartre und
Camus. Mich interessierte das Ganze besonders deswegen, weil von dem
algerischen Befreiungsterror auch meine ERSTE Liebe unmittelbar betroffen war.
Eva H-ovä, in die ich Mitte der fünfziger Jahre - es war in der ersten Klasse -
verliebt gewesen war, lebte ausgerechnetin den Zeiten des Bombenkriegs der FLN
mit ihrem Diplomatenvater in Paris. In Prag liefen die düsteren fünfziger Jahre
allmählich aus, bei uns zu Hause sprach man trotzdem dauernd über irgendwelche
politischen Katastrophen - natürlich auch über die algerischen Bomben, die
Menschen töteten. Und ich erfuhr von meiner Mutter und aus dem »Spiegel« recht
früh über diese Art von Machtausübung - also die Möglichkeit, seinen
Machtanspruch laut genug und blutig anzumelden.
Einen
triftigen Grund, mich von Skopka fernzuhalten, hatte ich nicht, alles fing
vollkommen harmlos an. Und Skopka war seit langem sowieso für die
unterschiedlichsten Facetten meiner Ausbildung verantwortlich. Einen Fotografen
hatte er aus mir zwar nicht gemacht, ich wußte aber genau, was man in der
Dunkelkammer zu tun hat und was dort wie funktioniert - eben von Skopka. Ich
hatte ebenfalls nicht vor, ein Kosmonaut zu werden, die in der Zukunft liegende
Kosmoseroberung wurde aber auch zu meinem Anliegen. Und hier schließt sich
teilweise der Kreis: Kosmoseroberung ist, wie man weiß, ohne gewaltige
Verbrennungsprozesse nicht denkbar. Und Petr Skopka war - das kann ich nicht
ganz leugnen - ein Experte auch in Sachen flammender und sonstiger Zerstörung.
Natürlich war es seine Idee gewesen, eine Straßenbahn auf eine kurze Fahrt über
die Pflastersteine zu schicken und zu beobachten, wie gut sie dort ohne
Stromfluß vorwärtskäme.
- Eine
Explosion, beruhigte er mich einmal, ist nichts anderes als eine harmlose
Verbrennung, die Oxidation erfolgt dabei nur ungeheuerlich schnell. Und ein
Verkehrsunfall ist - streng physikalisch gesehen - nichts anderes als Bremsen,
also mal mehr oder weniger
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