Faktor, Jan
materialschädigend, versteht sich.
Skopka
besuchte zweimal die Woche, volle zwei Jahre lang, einen geheimnisumwitterten
Chemiezirkel und war auch in seiner Freizeit ganz bei der Sache. In mir nährte
ernebenbei kontinuierlich die Begeisterung für Explosivstoffe, bis ich mich bei
dem Zirkel schließlich auch anmeldete. Dort langweilte ich mich aber
fürchterlich, litt vor allem darunter, mich nicht an der frischen Luft bewegen
zu können. Und ich sah absolut nicht ein, warum ich das und jenes miteinander
mischen sollte, was mir äußerlich überhaupt nichts sagte, optisch auch nach gar
nichts aussah. Die meisten der verwendeten Substanzen verrieten nicht
annähernd, was in ihnen steckte. Sogar wenn man sie angefaßt hatte - was man
dummerweise gar nicht sollte -, geschah in der Regel nichts. Chemie war auf
dieser Stufe der Beschäftigung absolut unsinnlich, undurchschaubar,
unspektakulär. Nachdem aber Skopka immer neue Geheimnisse erfahren und mit
ihnen heimliche Experimente angestellt hatte, hatte ich doch Feuer gefangen und
wurde nach einer gründlichen Schulung als Assistent engagiert. Eine Einweisung
bestand zum Beispiel darin, daß er mir zeigte, wie man chemische Substanzen mit
dem Geruchssinn erkundete - ohne sich der Gefahr der Schleimhautverätzung
auszusetzen.
- NIEMALS
an die Fläschchenöffnung direkt mit der Nase herangehen, die Ausdünstungen
NIEMALS direkt in die Nasenlöcher einziehen! Den Kopf immer nur in sicherem
Abstand halten, mit der freien Hand oberhalb des Flaschenhalses wedeln und die
dadurch verdünnten, eventuell ätzenden Dämpfe vorsichtig prüfen.
Die ersten
wirklich gefährlichen Experimente starteten wir mit Säuren - manche hatte Petr
bei den Zirkelnachmittagen abgezapft, also geklaut, manche waren damals frei
verkäuflich. Salzsäure war in den Drogerien in unbegrenzter Menge zu haben.
- Jungs,
wofür braucht ihr das? Warum so viel?
- Für die
Toilettenschüsseln zu Hause, für das ganze Haus. Unsere Mütter wollen innen
alles weiß haben, bis nach unten in den Siphon.Wir testeten zum Beispiel, was
in den Säuren zischte und sich auflöste und was nicht, wir sprangen zur Seite,
wenn die Reaktionen zu heftig wurden. Skopkas Arbeitstisch und dessen Umgebung
gerieten oft unter Spritzerbeschuß, alles war voller Spuren der säuerlichen
Freßgier. Der stark kurzsichtige Petr trug zum Glück eine Brille, sein Körper,
Kopf und seine Kleidung schützten mich als seinen immer in der zweiten Reihe
stehenden Assistenten vor dem Schlimmsten. Skopkas Hosen und Hemden waren
natürlich dauernd voller Löcher. Daß irgendwelche Abwasserleitungen in seinem Haus
Lecks bekamen und es dadurch zu einer fäkalen Überschwemmung des halben Kellers
kam, war wahrscheinlich unsere Schuld. Als ich einige Jahre zuvor einen
langweiligen Spielkasten »Der junge Chemiker« bekommen hatte, ahnte ich nicht,
was die Chemie in Wirklichkeit alles bewirken konnte.
Mit
Säuren- und Basen-Experimenten war es irgendwann zu Ende, wir gingen zum
Herstellen von praktisch nutzbaren Endprodukten über - das war viel
interessanter. Die interessantesten von ihnen waren eindeutig die Sprengstoffe.
Alle Zutaten wie Azeton, Nitroverdünnung und irgendwelche Mittel gegen Unkraut
(»Gras-Ex«) - also alles, was wir brauchten - gab es damals frei im Handel. Bei
einem der Rezepte war auch Wasserstoffperoxid dabei. Dank der emsigen
Islamisten kennt solche Rezepte für Flüssigsprengstoff heutzutage jedes Kind.
Die drei oder vier benötigten Zutaten mußte man sich allerdings auch damals -
trotz der Ahnungslosigkeit der Drogisten - zeitversetzt und möglichst in
unterschiedlichen Geschäften besorgen. Wir betraten die Läden einzeln, jeder
von uns kaufte grundsätzlich nur eine einzige Zutat. Danach trugen wir den
Stoff nach Hause, wechselten uns beim Kanistertragen ab. Mit dem ausgewaschenen
Gefäß gingen wir später zur nächsten Drogerie.
Als
Reaktionsgefäße dienten uns große Gurkengläser, die in unseren Zimmern frei
herumstanden und fürchterlichstanken - jedesmal mehrere Tage lang. Kein
Erwachsener beschwerte sich, niemand fragte nach dem Sinn und Zweck des
geheimnisvoll reifenden Mischinhalts. Das aus mehreren Litern bestehende
Wasserstoffperoxid-Azeton-usw.-Gemisch sonderte beispielsweise eine dünne
Schicht weißlicher Flocken ab, die auf dem Glasboden liegenblieben. Wir wollten
- teilwissend und vollkommen unschuldig, wie wir waren - keine Gebäude in die
Luft jagen, wir brauchten ausschließlich dieses Konzentrat,
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