Faktotum
durch und sah mich in einer dunklen Ecke hocken oder zwischen zwei Reihen von Regalen, in die ich mit sehr trägen Bewegungen die neu eingetroffenen Teile einsortierte.
»Chinaski, fehlt Ihnen etwas?«
»Nee.«
»Sie sind nicht krank?«
»Nee.«
Dann ging Mantz wieder weiter. Diese kleine Szene wiederholte sich öfter, mit geringfügigen Variationen. Einmal überraschte er mich dabei, wie ich mir auf der Rückseite einer Rechnung eine Skizze vom genauen Verlauf der Gasse hinter
dem Lagerhaus anfertigte. Aus meinen Taschen quoll das Geld, das ich als Buchmacher verdient hatte. Auch die Folgen des Alkoholgenusses waren jetzt leichter zu ertragen, da sie vom besten Whisky herrührten, den man für Geld kaufen konnte.
Ich kassierte noch weitere zwei Wochen lang meinen Lohn. Dann, an einem Mittwochmorgen, sah ich Mantz auf dem Mittelgang vor seinem Büro stehen. Er winkte mich mit einer Handbewegung zu sich. Als ich in sein Büro kam, saß er bereits wieder hinter seinem Schreibtisch. Mitten auf dem Schreibtisch lag umgedreht ein Scheck. Ich schob den Scheck so wie er war auf der Glasplatte zu mir her und verstaute ihn, ohne einen Blick darauf zu werfen, in meiner Brieftasche.
»Sie wußten wohl schon, daß wir Sie entlassen, wie?« »Die Absichten von Arbeitgebern sind nie schwer zu erraten.« »Chinaski, Sie wissen ganz genau, daß Sie schon seit einem
Monat nicht mehr volle Leistung bringen.«
»Da schindet man sich den Arsch krumm und lahm, und Sie
wissen es nichtmal zu schätzen.«
»Sie haben sich den Arsch nicht krumm und lahm geschunden,
Chinaski.«
Ich starrte geraume Zeit auf meine Schuhe runter. Ich wußte
nicht, was ich sagen sollte. Dann sah ich ihn an. »Ich habe Ihnen
meine Zeit gegeben. Das ist alles, was ich habe. Es ist alles, was
ein Mann hat. Und das für einen kläglichen Stundenlohn von $
1.25.«
»Denken Sie daran, daß Sie um diesen Job gebettelt haben. Sie
sagten, ein Job sei für Sie wie ein zweites Zuhause.«
»… meine Zeit, damit Sie in Ihrem großen Haus da oben am
Berg leben können mit all den Annehmlichkeiten, die dazugehö
ren. Wenn einer bei diesem Deal schlecht weggekommen ist,
dann ich. Ich hab dabei draufgezahlt. Verstehn Sie?« »All right, Chinaski.«
»All right?«
»Ja. Gehn Sie.«
Ich stand auf. Mantz trug einen konservativen braunen Anzug,
weißes Hemd, dunkelrote Krawatte. Ich versuchte meinem
Abgang noch ein bißchen Flair zu geben. »Mantz, ich will
meine Arbeitslosenunterstützung sehen. Ich möchte nicht, daß
da was schiefläuft. Ihr Typen versucht immer, den Arbeiter um
seine Rechte zu bescheißen. Also machen Sie mir bloß keine
Schwierigkeiten, sonst komm ich wieder, und dann können Sie
was erleben.«
»Sie kriegen Ihre Arbeitslosenunterstützung. Und jetzt machen
Sie, daß Sie hier rauskommen!«
Ich machte, daß ich da rauskam.
50
Ich hatte meine Gewinne und das Buchmachergeld und lag auf der faulen Haut, und Jan gefiel das. Nach zwei Wochen bezog ich Arbeitslosenunterstützung, und wir waren alle Sorgen los und fickten und zogen durch die Bars, und ich ging einmal in der Woche aufs Arbeitsamt und stellte mich an und ließ mir meinen netten kleinen Scheck aushändigen. Ich brauchte nur drei Fragen zu beantworten:
»Sind Sie imstande zu arbeiten?«
»Sind Sie bereit zu arbeiten?«
»Werden Sie sich für eine Stelle vermitteln lassen?« »Ja! Ja! Ja!« sagte ich jedesmal.
Ich mußte außerdem drei Betriebe angeben, bei denen ich mich in der zurückliegenden Woche um Arbeit beworben hatte. Die Namen und Adressen suchte ich mir immer aus dem Telefonbuch heraus. Ich konnte es nie verstehen, wenn einer auf eine der drei Fragen mit »nein« antwortete. Dem wurde das Arbeitslosengeld sofort gestrichen, und man schickte ihn in einen Nebenraum, wo ihm Berater mit Spezialausbildung dabei behilflich waren, den Weg zurück in die Gosse zu finden.
Doch trotz der Schecks vom Arbeitsamt und der Gewinne vom Totalisator ging es mit meinen Finanzen immer rascher bergab. Jan und ich waren total unzurechnungsfähig, wenn wir an der Flasche hingen, und wir kriegten Schwierigkeiten noch und noch. Ich war ständig auf dem Weg zum Frauengefängnis von Lincoln Heights, um Jan gegen Kaution rauszuholen. Jedesmal kam sie dann mit so einer lesbischen Matrone aus dem Fahrstuhl, fast immer mit einem blauen Auge oder aufgeplatzten Lippen, und sehr oft auch mit einem Tripper, den ihr ein geiler Typ aus irgendeiner Bar angehängt hatte. Dann war die Kaution zu hinterlegen, und dann kamen
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