Falaysia - Fremde Welt: Band 1 (German Edition)
ihrerseits zu Marek hinüber. Als sich ihre Blicke trafen, zuckte sie zusammen. Die Intensität, mit der er sie ansah, erschrak sie. Seine Augen bohrten sich in die ihren, als wolle er auf den Grund ihrer Seele blicken, und ihr gelang es nicht, sich wieder von ihm loszureißen. Irgendetwas brachte sie dazu, seinem Blick standzuhalten. Wie hieß es noch gleich? Derjenige, der zuerst wegsah, war der Schwächere? Oder galt das nur in Bezug auf Tiere? Egal. Sie würde bestimmt nicht zuerst wegsehen. Marek war nicht mehr der Stärkere hier. Er war ihr Gefangener und sollte begreifen, dass sie keine Angst mehr vor ihm hatte... jedenfalls nicht mehr so viel.
Ein wütendes Schnaufen aus Leons Richtung ließ Jenna erneut zusammenzucken. Der junge Mann stand unbeherrscht auf, funkelte Marek hasserfüllt an, der ihn geflissentlich ignorierte und nur Jenna weiter anstarrte.
Sie bemerkte, dass Leons Blick zu ihr wanderte und war leider gezwungen, das Blickduell mit ihrem Gefangenen aufzugeben und sich stattdessen ihrem Freund zuzuwenden. Der versuchte gar nicht erst vor ihr zu verbergen, was in ihm vorging. Es war fast so, als würde er sie nonverbal darum bitten, einschreiten zu dürfen und Marek auf seine ‚nette‘ Art in die Schranken zu weisen. Doch sie schüttelte sofort den Kopf und machte ihn damit nur umso wütender.
Leon biss sichtbar die Zähne zusammen und schloss kurz die Augen, um dann den Kopf zu schütteln. Dann wandte er sich um und hob sein Schwert vom Boden auf.
„Ich geh neues Feuerholz holen“, antwortete er auf ihren besorgt fragenden Blick und stapfte sogleich davon.
Jenna sah ihm mit einem flauen Gefühl im Bauch nach. Wie sollte das alles nur weitergehen?
„Er scheint wütend zu sein“, erinnerte sie eine dunkle Stimme daran, dass sie nicht allein war, und sie wandte sich wieder zu ihrem Gefangenen um.
Allein. Sie war allein mit ihm . Ihre Hand wanderte automatisch zu dem Stein um ihren Hals und das warme Kribbeln, das sofort von ihm ausging, beruhigte sie schnell wieder. Ganz allein war sie dann doch nicht und solange sie den Stein hatte, war sie gewiss besser geschützt als jeder andere Mensch in Falaysia.
„Er… hat heute nur einen schlechten Tag“, erwiderte sie betont gelassen.
Marek lächelte. Es war ein Lächeln, das eigentlich gar keines war, gefühllos, eine reine Attrappe, die nur dazu diente, den Anschein zu erwecken, ein netter Mensch zu sein.
„Ich glaube nicht, dass dieser Tag schlechter ist als andere“, meinte er. „Er hat eher ein anderes Problem.“
„Und das wäre?“ erkundigte sich Jenna und beugte sich ein wenig vor.
„Du“, sagte er offen. „Du bist nicht nur meins, sondern auch seins.“
Sie runzelte verärgert die Stirn. „Inwiefern?“
„Dir fehlt die Berechenbarkeit, die so vielen Menschen in Falaysia zu eigen ist. Es verwirrt ihn, dass du keine feste Seite einnehmen willst.“
„Was meinst du mit ‚Seite‘?“
Da war wieder dieses seltsame Schmunzeln, das dieses Mal besonders eigenartig aussah, weil seine Oberlippe so geschwollen und blutig war.
„Darf ich dir einen Rat geben?“ Es klang wie eine Frage, doch da Marek nicht auf eine Antwort wartete, war es vermutlich nicht so gemeint. „Mach dir das Leben hier in Falaysia nicht so schwer. Orientiere dich lieber an allen anderen und teile die Welt in Gut und Böse ein, schwarz und weiß. Halte dich nicht damit auf, nach dem Grau, nach Nuancen zu suchen. Das wird hier nicht gern gesehen – auf keiner der beiden Seiten und du würdest dir am Ende nur damit schaden. Das siehst du schon an dem Verhalten deines Freundes.“
Jenna sah ihn ein paar Atemzüge lang nachdenklich an, dann schüttelte sie den Kopf. „Es gibt kein reines Schwarz und Weiß“, erwiderte sie mit fester Stimme. „Und ich werde mein Verhalten bestimmt nicht von der Meinung anderer abhängig machen.“
„Wovon dann?“
„Davon, wie sich die Menschen mir gegenüber verhalten und von meinen eigenen Beobachtungen und Einschätzungen.“
„Kannst du das denn? Menschen gut einschätzen?“
‚Das gehört zu meinem Beruf‘, wollte sie sagen, biss sich aber noch rechtzeitig auf die Zunge. Die Menschen hier wussten ganz bestimmt nicht, was eine Familientherapeutin war. Außerdem sollte niemand wissen, dass sie aus einer anderen Welt kam und… Sie hielt inne und zog die Brauen zusammen, als sie Marek wieder ansah. Hatte er nicht gerade eben davon gesprochen, dass sie sich in dieser Welt besser anpassen sollte? Dann
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