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Falken: Roman (German Edition)

Falken: Roman (German Edition)

Titel: Falken: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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seine Gläubiger im Zaum halten kann.
    Sie müssen verstehen, sagt Rafe, dass es der Königin, jetzt da der König sie nicht mehr so bewundert, gefällt, junge Männer um sich zu haben, die ihr jedes Wort von den Lippen ablesen. Ihre Gemächer sind geschäftige Durchgangsstraßen, die Kammerherren und Kammerjunker klopfen ständig an, um dieses oder jenes zu erledigen, bleiben eine Weile, spielen ein Spiel oder singen ein Lied. Und wenn es einmal keine Nachricht zu überbringen gibt, erfinden sie eine.
    Die Gentlemen, die nicht zu hoch in der Gunst der Königin stehen, hängen sich an den neuen Kammerjunker und weihen ihn in alle Gerüchte ein. Etliches muss ihm gar nicht erst erzählt werden, er kann es selbst sehen und hören. Flüstern und Balgen hinter den Türen. Heimlicher Spott über den König. Über seine Kleider, seine Musik. Anzüglichkeiten über seine Schwächen im Bett. Wer kann die in die Welt gesetzt haben, wenn nicht die Königin?
    Es gibt Männer, die reden die ganze Zeit über ihre Pferde: Das ist ein stämmiges Tier, aber früher hatte ich ein schnelleres. Da hast du ein schönes Füllen, aber du solltest den Braunen sehen, auf den ich ein Auge geworfen habe. Bei Henry sind es die Ladies: An fast jeder Frau, die seinen Weg kreuzt, entdeckt er etwas Liebenswertes und findet selbst dann noch ein Kompliment für sie, wenn sie unansehnlich, alt und bitter ist. Von den jungen lässt er sich zweimal am Tag hinreißen: Hat sie die schönsten Augen? Und wie weiß ihr Hals doch ist, wie süß ihre Stimme, wie wohlgeformt ihre Hand. Er sieht sie nur an und berührt sie nicht: Eventuell traut er sich einmal zu sagen, und wird dabei leicht rot: »Denken Sie nicht, dass sie ganz wunderbare kleine Tittchen haben muss?«
    Eines Tages hört Rafe, wie Weston im Raum nebenan belustigt den König imitiert: »Hat sie nicht die feuchteste Spalte, die du je begrapscht hast?« Glucksen, komplizenhaftes Kichern. Und dann: »Psst! Cromwells Spion ist in der Nähe.«
    Harry Norris ist seit einiger Zeit nicht am Hof gewesen, er weilt auf seinem Besitz. Bei der Arbeit versucht er alles Geschwätz zu unterdrücken, sagt Rafe, und regt sich manchmal darüber auf. Manchmal erlaubt er sich aber auch ein Lächeln. Sie reden über die Königin und spekulieren …
    Weiter, Rafe, sagt er.
    Rafe mag das nicht. Er hat das Gefühl, es ist unter seiner Würde, andere Leute zu belauschen. Er überlegt, bevor er weitererzählt. »Die Königin muss sich neu schwängern lassen, um dem König zu gefallen, aber von wem?, fragen sie. Da Henry nicht zuzutrauen ist, dass er es selbst macht, wer von ihnen soll ihm den Gefallen tun?«
    »Und sind sie zu einem Schluss gekommen?«
    Rafe reibt sich den Kopf, sodass sein Haar in die Luft steht. Wissen Sie, sagt er, sie würden es nicht wirklich tun. Keiner von ihnen. Die Königin ist ihnen heilig. So lüstern die Männer auch sein mögen, es wäre eine zu große Sünde für sie, und sie fürchten den König viel zu sehr, selbst wenn sie ihn verspotten. Im Übrigen wären sie nicht so dumm.
    »Ich frage dich noch einmal: Sind sie zu einem Schluss gekommen?«
    »Ich glaube, höchstens jeder für sich selbst.«
    Er lacht. »Sauve qui peut.«
    Er hofft, dass nichts von alldem nötig sein wird. Er hofft auf eine sauberere Lösung, wenn er sich gegen Anne wendet. Es ist alles dummes Gerede. Aber Rafe kann es nicht ungehört machen, kann es nicht aus seinem Kopf entfernen. Dort ist es, und dort bleibt es.
    Märzwetter, Aprilwetter, eisige Schauer und Sonnenfetzen. Diesmal trifft er Chapuys drinnen.
    »Sie wirken nachdenklich, Master Sekretär. Kommen Sie ans Feuer.«
    Er schüttelt die Regentropfen vom Hut. »Mir liegt etwas auf der Seele.«
    »Wissen Sie, ich glaube, dass Sie sich nur mit mir treffen, um den französischen Botschafter zu ärgern.«
    »O ja«, seufzt er, »der ist äußerst eifersüchtig. Wobei ich Sie noch öfter besuchen würde, wenn die Königin nicht jedes Mal davon erführe. Und sie findet immer wieder einen Weg, es auf die eine oder andere Weise gegen mich zu verwenden.«
    »Ich sollte Ihnen eine gnädigere Herrin wünschen.« Die implizite Frage des Botschafters: Wie soll das gehen, das mit der neuen Herrin? Chapuys will wissen: Könnte es nicht einen neuen Vertrag zwischen unseren Souveränen geben? Etwas, das Mary und ihre Interessen sicherte und sie zurück in die Thronfolge brächte, nach Kindern, die Henry mit einer neuen Frau haben könnte? Natürlich immer angenommen, dass die

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