Falken: Roman (German Edition)
jetzige Königin verschwindet.
»Ah, Lady Mary.« Er hat sich angewöhnt, seine Hand an den Hut zu legen, wenn ihr Name genannt wird. Er kann sehen, dass den Botschafter diese Geste berührt, kann sehen, wie er sich innerlich darauf vorbereitet, es mit in seine Depeschen aufzunehmen. »Der König ist bereit, in offizielle Verhandlungen einzutreten. Er wäre mit dem Kaiser gern in Freundschaft verbunden. So hat er es gesagt.«
»Da müssen Sie ihn auf den Punkt bringen.«
»Ich habe Einfluss auf den König, kann aber nicht für ihn sprechen, kein Untertan kann das. Da liegt mein Problem. Um Erfolg bei ihm zu haben, muss man seine Wünsche vorausahnen. Allerdings steht man dumm da, wenn er die Meinung ändert.«
Sein Master Wolsey hatte ihm geraten: Bringen Sie ihn dazu zu sagen, was er will, versuchen Sie es nicht zu erraten, dadurch könnten Sie sich selbst vernichten. Aber vielleicht sind die unausgesprochenen Befehle des Königs seit Wolseys Tagen schwerer zu überhören. Er füllt den Raum mit siedender Unzufriedenheit und blickt zum Himmel auf, wenn du ihn um eine Unterschrift bittest: als erwartete er Befreiung.
»Sie fürchten, dass er sich gegen Sie wendet«, sagt Chapuys.
»Das wird er, denke ich. Eines Tages.«
Manchmal wacht er nachts auf und grübelt darüber nach. Es gibt Höflinge, die ehrenhaft in Pension gegangen sind. Ihm fallen Beispiele ein. Natürlich steigen die anderen Beispiele mächtiger vor dir auf, wenn du mitten in der Nacht nicht mehr schlafen kannst. »Und wenn der Tag kommt?«, fragt der Botschafter. »Was werden Sie dann tun?«
»Was kann ich tun? Mich mit Geduld wappnen und den Rest Gott überlassen.« Und hoffen, dass das Ende schnell erfolgt.
»Ihre Frömmigkeit gereicht Ihnen zur Ehre«, sagt Chapuys. »Wenn sich das Glück gegen Sie wendet, werden Sie Freunde brauchen. Der Kaiser …«
»Der Kaiser würde keinen Gedanken an mich verschwenden, Eustace. Oder an sonst einen gemeinen Mann. Niemand hat auch nur einen Finger gehoben, um dem Kardinal zu helfen.«
»Der arme Kardinal. Ich wünschte, ich hätte ihn kennengelernt.«
»Hören Sie auf, mir Honig ums Maul zu schmieren«, sagt er mit scharfer Stimme. »Es reicht.«
Chapuys sieht ihn nachdenklich an. Das Feuer flackert auf. Dampf hebt sich aus seinen Kleidern. Gegen das Fenster schlägt Regen. Er zittert. »Sind Sie krank?«, will Chapuys wissen.
»Nein, dazu habe ich nicht die Erlaubnis. Wenn ich mich ins Bett legte, würde mich die Königin daraus hervorholen und sagen, ich sei ein Simulant. Wenn Sie mich aufmuntern wollen, holen Sie Ihren Weihnachtshut wieder hervor. Es ist schade, dass Sie ihn aus Trauer nicht mehr tragen. Spätestens Ostern würde ich ihn gerne wieder auf Ihrem Kopf sehen.«
»Machen Sie sich nicht über meinen Hut lustig, Thomas. Wie ich höre, haben nicht nur Ihre Schreiber darüber gelacht, sondern auch Ihre Stalljungen und Hundeaufpasser.«
»Im Gegenteil. So viele wollten ihn aufprobieren. Es wäre schön, wenn wir ihn bei den großen Kirchenfesten zu sehen bekämen.«
»Noch einmal«, sagt Chapuys. »Ihre Frömmigkeit gereicht Ihnen zur Ehre.«
Er schickt Gregory zu seinem Freund Richard Southwell, damit er von ihm lernt, wie man in der Öffentlichkeit spricht. Es ist gut für ihn, aus London herauszukommen, weg vom Hof, wo die Atmosphäre angespannt ist. Überall um ihn herum sind Anzeichen von Unruhe zu erkennen. Höflinge stehen beisammen und zerstreuen sich, wenn er näher kommt. Wenn er alles aufs Spiel setzen muss, und er denkt, dass ihm nichts anderes übrig bleibt, sollte Gregory nicht Stunde um Stunde dabei sein und durch Schmerz und Zweifel gehen müssen. Lass ihn von den Ergebnissen hören, wie es dazu kommt, muss er nicht miterleben. Er hat im Moment nicht die Zeit, den einfachen jungen Geistern die Welt zu erklären. Er muss die Bewegung von Kavallerie und Artillerie überall in Europa beobachten, die Schiffe auf See, Händler und Krieger: das Gold, das aus Amerika in die Schatzkammern des Kaisers gelangt. Manchmal wirkt der Friede wie Krieg, du kannst das eine nicht vom anderen unterscheiden, manchmal wirkt diese Insel sehr klein. Aus Europa ist zu hören, dass der Ätna ausgebrochen und es auf ganz Sizilien zu Überflutungen gekommen ist. Portugal leidet unter einer Dürre, und überall gibt es Neid und Streit, Angst vor der Zukunft, Angst vor Hunger oder dem bloßen Wissen, dass es ihn gibt, Angst vor Gott und Zweifel, wie er zu beschwichtigen ist und in welcher
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