Falken: Roman (German Edition)
unheilige Volk und errette mich von den falschen und bösen Leuten.«
Chapuys dreht sich um und schießt einen Blick auf ihn ab. Er grinst. »Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir?«, fragt der Priester – natürlich auf Latein.
Der Botschafter schiebt sich auf den Altar zu, um die heilige Hostie in Empfang zu nehmen, die Gentlemen um ihn herum, geordnet wie erfahrene Tänzer, zögern einen halben Schritt und fallen hinter ihn zurück. Chapuys zögert, Georges Freunde umgeben ihn. Er wirft einen Blick über die Schulter. Wo bin ich, was soll ich tun?
In diesem Moment kommt Anne, die Königin, von ihrem eigenen privaten Platz auf der Empore herunter: den Kopf hoch erhoben, in Samt und Zobel, Rubine um den Hals. Chapuys hat sie genau im Blick, er zögert. Er kann nicht weiter, denn er hat Angst, ihren Weg zu kreuzen. Er kann auch nicht zurück, George und seine Speichellecker sind hinter ihm. Anne wendet den Blick. Ein ostentatives Lächeln: So erweist sie dem Feind ihre Reverenz, mit einem gnädigen Beugen des juwelengeschmückten Halses. Chapuys kneift die Augen zusammen und verbeugt sich vor der Konkubine.
Nach all diesen Jahren! All diese Jahre hat er seinen Weg so gewählt, dass er ihr nie von Angesicht zu Angesicht begegnet ist, nie zu dieser Entscheidung gezwungen war, zu dieser verdammenswerten Höflichkeit. Aber was sonst konnte er tun? Bald schon wird darüber berichtet werden. Der Kaiser wird davon hören. Hoffen und beten wir, dass Karl es versteht.
All das lässt sich vom Gesicht des Botschafters ablesen. Er, Cremuel, kniet nieder und empfängt die Kommunion. Gott wird zu einer Paste auf seiner Zunge. Währenddessen soll man andächtig die Augen schließen, doch dieses eine Mal wird Gott ihm vergeben, wenn er sich umsieht. Er sieht George Boleyn, rot vor Freude. Er sieht Chapuys, blass vor Demütigung. Und er sieht den golden schimmernden Henry, wie er gewichtig von der Empore herunterkommt. Die Schritte des Königs sind bedacht, er geht langsam. Sein Gesicht erstrahlt feierlich triumphierend.
Trotz aller Mühen des funkelnden George gelingt es dem Botschafter, sich beim Verlassen der Kapelle von ihm zu befreien. Er eilt hinüber zu ihm, seine Hand schließt sich fest um seinen Arm. »Cremuel! Sie wussten, dass das passieren würde. Wie konnten Sie mich so in Verlegenheit bringen?«
»Es ist zum Besten so, ich versichere es Ihnen.« Und dann fügt er düster und nachdenklich hinzu: »Was für ein Diplomat wären Sie, Eustace, wenn Sie die Natur von Fürsten nicht verstünden? Fürsten denken nicht wie andere Menschen. Bürgern wie uns muss Henry pervers erscheinen.«
Verständnis dämmert im Blick des Botschafters. »Ah.« Er lässt einen langen Seufzer hören. In einem einzigen Moment hat er begriffen, warum Henry ihn gezwungen hat, einer Königin öffentlich seine Reverenz zu erweisen, die er nicht länger will. Henry ist beharrlich, er ist stur. Jetzt hat er sein Ziel erreicht: Seine zweite Ehe ist anerkannt worden. Damit kann er sie, wenn er will, beenden.
Chapuys zieht seine Kleider um sich, als spürte er einen kalten Zug aus der Zukunft. Er flüstert: »Muss ich wirklich mit ihrem Bruder essen?«
»O ja. Sie werden einen entzückenden Gastgeber in ihm haben. Hat er« – er hebt die Hand, um ein Lächeln zu verbergen – »denn nicht gerade einen Triumph erlebt? Er und seine ganze Familie?«
Chapuys rückt näher. »Es war ein Schock, sie zu sehen, so aus der Nähe. Sie sieht wie eine dünne alte Frau aus. War das Mistress Seymour, die mit den dunkelblauen Ärmeln? Sie ist sehr schlicht. Was sieht Henry nur in ihr?«
»Er hält sie für dumm. Das findet er erholsam.«
»Er ist eindeutig verliebt. Da muss etwas an ihr sein, das ein Fremder nicht sehen kann.« Der Botschafter kichert. »Sie verfügt zweifellos über ein sehr zartes enigme .«
»Das niemand kennt«, sagt er ausdruckslos. »Sie ist Jungfrau.«
»Nach so langer Zeit bei Hofe? Henry muss verblendet sein.«
»Botschafter, sparen Sie sich das für später auf. Ihr Gastgeber ist hier.«
Chapuys faltet die Hände vor seinem Herzen und macht vor George, Lord Rochford, eine tiefe Verbeugung. Lord Rochford tut es ihm nach. Arm in Arm tänzeln die beiden davon. Es klingt, als rezitierte Lord Rochford Verse, um den Frühling zu preisen.
»Hm«, sagt Lord Audley. »Welch eine Vorstellung.« Die schwache Sonne glitzert auf der Amtskette des Lordkanzlers. »Kommen Sie, mein Junge, gehen wir und kauen ein
Weitere Kostenlose Bücher