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Falken: Roman (German Edition)

Falken: Roman (German Edition)

Titel: Falken: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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Stück Kruste.« Audley gluckst. »Der arme Botschafter. Er sieht aus wie jemand, der von Sklavenhändlern in die Barbareskenstaaten verschleppt wird und keine Ahnung hat, in was für einem Land er morgen aufwacht.«
    Ich auch nicht, denkt er. Du kannst dich darauf verlassen, dass Audley es freundlich meint. Er schließt die Augen. Irgendein Hinweis, irgendeine Andeutung hat ihn erreicht, dass der Tag ihm nichts mehr bringen wird, obwohl es erst zehn Uhr ist. »Crumb?«, sagt der Lordkanzler.
    Nicht lange nach dem Essen zerfasert alles, und das auf die schlimmste denkbare Weise. Er hat Henry und den Botschafter in einer Fensterlaibung zurückgelassen, wo sie einander mit Worten liebkosen, von einer Allianz gurren und sich unanständige Vorschläge machen können. Zuerst sieht er, wie der König seine Farbe ändert. Aus Rosa wird Ziegelrot. Dann hörte er Henrys Stimme, um ein Register erhöht, schneidend: »Ich denke, da wagen Sie sich etwas zu weit vor, Chapuys. Sie sagen, ich erkenne die Herrschaft Ihres Masters über Mailand an: Aber vielleicht hat der König von Frankreich ein ebenso großes Recht auf das Herzogtum, oder noch ein größeres. Maßen Sie sich nicht an, meine Politik zu kennen, Botschafter.«
    Chapuys fährt zurück. Er denkt an Jane Seymours Frage: »Master Sekretär, haben Sie je eine verbrühte Katze gesehen?«
    Der Botschafter spricht: leise und demütig. Henry stößt erneut zu: »Wollen Sie damit sagen, dass das, was ich als Aufmerksamkeit verstanden habe, tatsächlich eine Schacherei ist? Sie verbeugen sich vor meiner Frau, der Königin, und schicken mir gleich darauf die Rechnung?«
    Er, Cromwell, sieht, wie Chapuys beschwichtigend die Hand hebt. Der Botschafter versucht, Henry zu unterbrechen, versucht, den Schaden zu begrenzen, aber Henry lässt ihn nicht zu Wort kommen, er ist im ganzen Raum zu hören, für die ganze staunende Versammlung und die, die von hinten herandrängen. »Erinnert sich Ihr Master nicht daran, was ich für ihn getan habe, bei seinen anfänglichen Problemen? Als sich seine spanischen Untertanen gegen ihn erhoben haben? Ich habe die Meere für ihn offen gehalten. Ich habe ihm Geld geliehen. Und was bekomme ich im Austausch?«
    Es entsteht eine Pause. Chapuys muss seine Gedanken zurückdrehen, zu jenen Jahren, bevor er auf seinen Posten berufen wurde. »Geld?«, sagt er mit schwacher Stimme.
    »Nichts als gebrochene Versprechen. Denken Sie nur daran, wie ich ihm gegen Frankreich geholfen habe. Dafür hat er mir Land versprochen. Das Nächste, was ich hörte, war, dass er einen Vertrag mit François geschlossen hatte. Warum sollte ich auch nur einem Wort von ihm trauen?«
    Chapuys drückt den Rücken durch: macht sich so groß, wie er kann. »Was für ein lahmer, kleiner Gockel«, sagt Audley ihm ins Ohr.
    Aber er, Cromwell, lässt sich nicht ablenken. Sein Blick ist fest auf den König gerichtet. Er hört den Botschafter sagen: »Majestät. Das ist keine Frage, die ein Fürst dem anderen stellt.«
    »Ach, nein?«, knurrt Henry. »Vor Zeiten hätte ich sie auch nicht gestellt. Ich halte jeden Fürsten für ehrbar, so wie ich ehrbar bin. Aber manchmal, Monsieur, ich kann es leider nicht anders sagen, müssen unsere geliebten, natürlichen Annahmen bitterer Erfahrung weichen. Ich frage Sie, hält mich Ihr Master für einen Narren?« Henrys Stimme schwingt in die Höhe, dabei beugt er sich leicht vor und vollführt mit den Fingern auf Kniehöhe leichte Paddelbewegungen, als versuchte er, ein Kind oder einen kleinen Hund herbeizulocken. »Henry!«, kräht er. »Komm zu Karl! Komm zu Herrchen!« Schon richtet er sich wieder auf und spuckt fast vor Wut. »Der Kaiser behandelt mich wie ein Kleinkind. Erst schlägt er mich, dann tätschelt er mich, und schon kommt wieder die Peitsche. Sagen Sie ihm, ich bin kein Kleinkind. Sagen Sie ihm, dass ich ein Herrscher mit einem eigenen Reich bin, ein Mann und ein Vater. Sagen Sie ihm, er soll sich aus meinen Familienangelegenheiten heraushalten. Ich ertrage seine Einmischungen schon viel zu lange. Erst will er mir erklären, wen ich heiraten darf. Dann schreibt er mir vor, wie ich mit meiner Tochter umzugehen habe. Sagen Sie ihm, ich werde Mary behandeln, wie ich es als Vater eines ungehorsamen Kindes für richtig halte. Ganz gleich, wer ihre Mutter ist.«
    Die Hand des Königs – tatsächlich, lieber Gott, sie ist zur Faust geballt – berührt grob die Schulter des Botschafters. Nachdem er sich Platz verschafft hat, stampft Henry

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