Falken: Roman (German Edition)
Richard sagt: »Sehen Sie den Burschen dort?« Christophe deutet auf sich selbst, für den Fall, dass Mark unsicher ist. »Halten Sie ihn für einen angenehmen Kerl?«, fragt Richard. »Würden Sie gern zehn Minuten allein mit ihm verbringen?«
»Fünf würden genügen«, sagt Christophe voraus.
Er sagt: »Ich habe Ihnen erklärt, Mark, dass Mr Wriothesley aufschreibt, was wir sagen. Aber er wird nicht unbedingt aufschreiben, was wir tun. Verstehen Sie? Das bleibt unter uns.«
Mark sagt: »Heilige Mutter Maria, hilf mir.«
Mr Wriothesley sagt: »Wir können Sie in den Tower bringen, da gibt es eine Streckbank.«
»Wriothesley, können wir kurz unter vier Augen miteinander sprechen?« Er winkt Nennt-Mich hinaus und sagt auf der Schwelle leise: »Es ist besser, die Art des Schmerzes nicht zu benennen. Wie Juvenal sagt, ist der Verstand der beste Folterer. Im Übrigen sollten Sie keine leeren Drohungen ausstoßen. Ich werde ihn nicht auf die Bank spannen. Ich will nicht, dass er zu seinem Prozess getragen werden muss. Und wenn ich einen armen kleinen Kerl wie ihn auf die Bank spannen muss … was kommt dann als Nächstes? Richten wir Mäuse hin?«
»Sie tadeln mich«, sagt Wriothesley.
Er legt Wriothesley die Hand auf den Arm. »Nicht doch. Sie machen das sehr gut.«
Es ist eine Angelegenheit, die selbst noch den Erfahrensten fordert. Er muss an den Tag in der Schmiede denken, als ihm ein heißes Eisen die Haut versengte. Dem Schmerz war nicht zu widerstehen. Sein Mund öffnete sich, ein Schrei flog heraus und schlug gegen die Wand. Sein Vater kam zu ihm gerannt, sagte: »Lege die Hände übereinander«, und half mit Wasser und Salbe. Hinterher sagte Walter: »Das ist uns allen schon passiert. So lernst du. So lernst du, die Dinge so zu tun, wie dein Vater sie dir beigebracht hat, und nicht auf irgendeine idiotische Weise, die dir selbst eine halbe Stunde vorher eingefallen ist.«
Daran denkt er, geht zurück in den Raum und fragt Mark: »Wissen Sie, wie man aus Schmerzen lernt?«
Dazu müssen allerdings die Umstände entsprechend sein, erklärt er ihm. Um lernen zu können, brauchst du eine Zukunft: Was, wenn jemand einen Schmerz für dich auswählt und ihn dich erleiden lässt, solange es ihm gefällt? Und erst damit aufhört, wenn du tot bist? Vielleicht verstehst du den Sinn deines Leidens und kannst ihn den sich quälenden Seelen im Fegefeuer erklären, wenn du denn ans Fegefeuer glaubst. Das mag bei Heiligen funktionieren, deren Seelen strahlend weiß sind. Aber nicht bei Mark Smeaton, der eine Todsünde begangen hat. Dem geständigen Ehebrecher. Er sagt: »Niemand will Ihren Schmerz, Mark. Er hilft niemandem, niemand ist daran interessiert. Nicht einmal Gott selbst, und ganz sicher auch nicht ich. Ich habe keine Verwendung für Ihr Schreien. Ich will Worte, die einen Sinn ergeben. Worte, die ich aufschreiben kann. Sie haben sie bereits ausgesprochen, und es ist leicht, es noch einmal zu tun. Sie haben die Wahl. Was kommt, liegt in Ihrer Verantwortung. Nach Ihren eigenen Worten haben Sie genug getan, um verdammt zu werden. Machen Sie uns nicht alle zu Sündern.«
Es mag immer noch notwendig sein, der Vorstellungskraft des Jungen die Stadien des Weges vorzuführen, der vor ihm liegt: den Weg aus der Zelle zum Ort des Leidens; das Warten, während das Seil entrollt oder das schuldlose Eisen in die Esse gelegt wird. Da wird jeder Gedanke aus deinem Kopf genommen und durch blinde Panik ersetzt. Dein Körper wird geleert und mit Grauen gefüllt. Deine Füße stolpern, dein Atem geht schwer. Augen und Ohren funktionieren noch, aber der Kopf versteht nicht mehr, was er sieht und hört. Die Zeit widerspricht sich selbst, Augenblicke werden Tage. Die Gesichter deiner Folterer steigen riesig vor dir auf oder weichen in unmögliche Ferne, werden kleine, klare Punkte. Worte werden gesprochen: Bringt ihn her, setzt ihn, jetzt ist es Zeit. Diese Worte waren einmal mit gewöhnlichen Bedeutungen verbunden, doch wenn du überlebst, werden sie auf ewig nur noch eines bedeuten: Schmerz. Das zischende Eisen wird aus den Flammen gehoben. Das Seil bewegt sich wie eine Schlange, windet sich und wartet. Es ist zu spät für dich. Du wirst jetzt nicht sprechen, weil deine Zunge geschwollen ist, dir den Mund füllt, und die Sprache sich selbst aufgefressen hat. Später wirst du sprechen, wenn sie dich von den Maschinen weggetragen und ins Stroh gelegt haben. Ich habe es ertragen, wirst du sagen. Ich habe es überstanden.
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