Falken: Roman (German Edition)
dass er ihm Einhalt gebieten muss. Die Beine des Jungen drohen den Dienst zu versagen, und Richard muss ihn stützen. Dieses Problem hatte er noch nie, das Problem, jemanden zu sehr in Furcht versetzt zu haben. »Norris« ist in dem Blabbern zu verstehen, »Weston« ebenfalls – so weit, so voraussehbar. Und dann nennt Mark die Höflinge so schnell, dass ihre Namen verschmelzen und davonfliegen. Er hört »Brereton« und sagt: »Schreib auf!«, er schwört, er hört »Carew« und auch »Fitzwilliam«, den Namen von Annes Seelsorger und den des Erzbischofs von Canterbury. Er selbst ist natürlich auch dabei, und irgendwann behauptet das Kind, Anne habe mit ihrem eigenen Ehemann Ehebruch begangen. »Thomas Wyatt …«, piepst Mark …
»Nein, nicht Wyatt.«
Christophe beugt sich vor und schwingt die Knöchel seitlich gegen den Kopf des Jungen. Mark hält inne. Er sieht sich um, unsicher, was die Quelle des Schmerzes ist. Und schon wieder gesteht er und gesteht er. Er hat sich von den Gentlemen bis zu den Laufburschen hinuntergearbeitet und zählt jetzt unbekannte Namen auf, wahrscheinlich Köche und Küchenjungen, an die er sich aus seinem früheren, weniger erhabenen Leben erinnert.
»Sperr ihn zurück zu dem Geist«, sagt er, und Mark stößt einen Schrei aus und verstummt.
»Wie oft hast du es mit der Königin getan?«, fragt er.
Mark sagt: »Tausend Mal.«
Christophe gibt ihm einen leichten Schlag.
»Drei oder vier Mal.«
»Danke.«
Mark sagt: »Was wird mit mir?«
»Das liegt bei dem Gericht, vor das du kommst.«
»Was geschieht mit der Königin?«
»Das liegt beim König.«
»Nichts Gutes«, sagt Wriothesley – und lacht.
Er dreht sich um. »Nennt-Mich. Sie sind aber früh hier.«
»Ich konnte nicht schlafen. Ein Wort, Sir?«
Heute sind die Rollen also vertauscht, und es ist Nennt-mich-Risley, der ihn mit in Falten gelegter Stirn beiseitenimmt. »Sie müssen Wyatt mit aufnehmen, Sir. Sie nehmen ihn sich zu sehr zu Herzen, diesen Auftrag, den sein Vater Ihnen gegeben hat. Wenn es so weit ist, können Sie ihn nicht schützen. Seit Jahren redet der Hof davon, was er mit Anne getan haben mag. Er führt die Liste der Verdächtigen an.«
Er nickt. Es ist einem jungen Mann wie Wriothesley nicht leicht zu erklären, warum er Wyatt wertschätzt. Er will sagen: Weil er, so gute Jungen ihr auch seid, anders ist als Sie oder Richard Riche. Er redet nicht einfach, um seine eigene Stimme zu hören, oder widerspricht, um zu gewinnen. Er ist nicht wie George Boleyn: Er schreibt keine Verse für sechs Frauen, weil er hofft, eine von ihnen in eine dunkle Ecke zu bekommen, wo er den Schwanz in sie hineinschieben kann. Er schreibt, um zu warnen und zu schelten; nicht um sein Bedürfnis zu gestehen, sondern um es zu verbergen. Er hat Ehrgefühl, aber gibt mit seiner Ehre nicht an. Er ist der perfekte Höfling, weiß aber auch, wie wenig das wert ist. Er hat die Welt studiert, ohne sie zu verachten. Er versteht die Welt, ohne sie abzulehnen. Er hat keine Illusionen, aber er hat Hoffnungen. Er schlafwandelt nicht durch sein Leben. Seine Augen sind offen, und seine Ohren hören Töne, die andere überhören.
Am Ende entscheidet er sich für eine Erklärung, der Wriothesley folgen kann. »Es ist nicht Wyatt«, sagt er, »der mir im Hinblick auf den König im Weg steht und mir den Zutritt zu den Gemächern des Königs verwehrt, wenn ich dessen Unterschrift brauche. Es ist nicht Wyatt, der ständig Verleumdungen über mich wie Gift in Henrys Ohr träufelt.«
Mr Wriothesley sieht ihn grüblerisch an. »Ich verstehe. Es geht nicht so sehr darum, wer schuldig ist, sondern wessen Schuld Ihnen dienlich ist.« Er lächelt. »Ich bewundere Sie, Sir. Sie sind geschickt in diesen Dingen und ohne falsche Gewissensbisse.«
Er ist sich nicht ganz sicher, ob er Wriothesleys Bewunderung will. Nicht aus diesem Grund. Er sagt: »Es kann sein, dass einer der genannten Gentlemen den Verdacht gegen ihn zu entkräften vermag. Oder, falls der Verdacht bestehen bleibt, die Hand des Königs durch ein Gesuch zu lähmen versteht. Nennt-Mich, wir sind keine Priester. Wir wollen diese Art Beichte nicht. Wir sind Anwälte. Wir wollen die Wahrheit Schritt für Schritt und nur den Teil, den wir nutzen können.«
Wriothesley nickt. »Dennoch sage ich, nehmen Sie Thomas Wyatt mit dazu. Wenn Sie ihn nicht verhaften, werden es Ihre neuen Freunde tun. Und ich frage mich schon länger, Sir, entschuldigen Sie, wenn ich nicht nachgebe, aber wie wird
Weitere Kostenlose Bücher