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Falken: Roman (German Edition)

Falken: Roman (German Edition)

Titel: Falken: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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trügen. Nachts liegt er wach, starrt auf die geschnitzten Deckenbalken und zählt seine Tage. Er sagt: »Cromwell, Cromwell, was soll ich tun?« Cromwell, rette mich vor dem Kaiser. Cromwell, rette mich vor dem Papst. Dann ruft er den Erzbischof von Canterbury, Thomas Cranmer, und will wissen: »Ist meine Seele verdammt?«
    Fern in London wartet der Botschafter des Kaisers, Eustace Chapuys, täglich auf die Nachricht, dass sich das englische Volk gegen seinen grausamen, gottlosen König erhebt. Das ist die Nachricht, die er herbeisehnt, und er würde Arbeit und gutes Geld aufwenden, um sie Wirklichkeit werden zu lassen. Sein Master, Kaiser Karl, herrscht auch über die Niederlande und Spanien sowie Spaniens überseeische Besitzungen. Karl ist reich und mitunter erbost, dass sich Henry Tudor erdreistet hat, seine Tante Katherine abzuservieren und eine Frau zu heiraten, die das Volk auf der Straße eine glotzäugige nennt. Chapuys fordert seinen Master mit dringenden Depeschen dazu auf, in England einzumarschieren, sich mit den Rebellen des Reiches, Heuchlern und Unzufriedenen zu verbünden und diese unheilige Insel zu erobern, deren König sich durch ein Parlamentsgesetz hat scheiden und zu Gott erklären lassen. Der Papst nimmt es nicht freundlich auf, dass er in England als bloßer »Bischof von Rom« verlacht wird, dass ihm seine Einkünfte verweigert und sie in die Schatullen Henrys geleitet werden. Eine Bannbulle ist zwar noch nicht öffentlich gemacht, doch bereits formuliert; drohend schwebt sie über Henry und macht ihn unter den christlichen Herrschern Europas zum Ausgestoßenen: Sie sind dazu eingeladen, ja werden ermutigt, die Meerenge zu überqueren oder die schottische Grenze, um sich aller Dinge zu bemächtigen, die ihm gehören. Vielleicht wird der Kaiser kommen. Vielleicht kommt der König von Frankreich. Vielleicht kommen sie gemeinsam. Es wäre angenehm, könnten wir sagen, dass wir bereit sind für sie. Die Wirklichkeit ist eine andere. Im Falle eines bewaffneten Einmarsches könnten wir gezwungen sein, die Knochen der Riesen auszugraben, um sie ihnen um die Ohren zu hauen: Uns fehlen Geschütze, Pulver und Stahl. Das ist nicht Thomas Cromwells Fehler, wie Chapuys mit einer Grimasse sagt, Henrys Königreich befände sich in besserem Zustand, wäre Cromwell schon vor fünf Jahren eingesetzt worden.
    Wenn man England verteidigen will, und er will – würde selbst mit dem Schwert in der Hand ins Feld ziehen –, muss man wissen, was England ist. In der Augusthitze stand er barhäuptig bei den in Stein gemeißelten Gräbern der Vorfahren: Männer cap à pie in Rüstung und Kettenhemd, die in Fehdehandschuhen steckenden Hände verbunden und steif auf den Waffenröcken liegend, die gepanzerten Füße auf steinernen Löwen, Greifen und Windhunden; steinerne Männer, stählerne Männer, deren weiche Frauen neben ihnen liegen wie Schnecken in ihren Häusern. Wir denken, die Zeit kann den Toten nichts anhaben, aber sie nagt an ihren Denkmälern, durch Unfälle und einfache Reibung stiehlt sie ihnen Nasen und Finger. Ein winziger abgetrennter Fuß (wie von einer knienden Putte) rutscht unter einem Stück Stoff hervor, die Spitze eines abgebrochenen Daumens liegt auf einem steinernen Kissen. »Wir müssen unsere Vorfahren nächstes Jahr instand setzen«, sagen die Herren der westlichen Counties: Allein ihre Schilde und Halter und die aufwendigen Wappen schimmern in frischen Farben, und mit ihren Worten schmücken sie die Taten ihrer Ahnherren aus. Wer sie waren und was sie hatten: die Waffen meines Vorfahren, die er bei Agincourt trug, die Tasse meines Vorfahren, die er aus der Hand von John of Gaunt erhielt. Wenn ihre Väter und Großväter in den späten Kriegen zwischen York und Lancaster auf der falschen Seite standen, sagen sie nichts davon. Eine Generation weiter müssen Fehler vergeben, müssen Reputationen wiederhergestellt werden, sonst kann England nicht fortschreiten und wird immer wieder in die schmutzige Vergangenheit gezogen.
    Er hat natürlich keine Vorfahren: nicht von der Art, mit der man sich brüstet. Es gab einmal eine Adelsfamilie namens Cromwell, und als er in den Dienst des Königs trat, drängten ihn die Herolde, der äußeren Erscheinung halber deren Wappen anzunehmen. Aber ich gehöre nicht dazu, sagte er höflich, und ich will ihr Wappen nicht. Er war nicht älter als fünfzehn gewesen, als er vor den Fäusten seines Vaters floh, den Kanal überquerte und in die Armee des

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