Falken: Roman (German Edition)
entsetzt vor ihr zurückweichen wie vor einer Ungläubigen. Aber ich nehme an, sie betet um einen Sohn. Wie ich höre, hat sie ihr letztes Kind verloren. Jaja, ich weiß, wie das ist. Ich bedauere sie aus tiefstem Herzen.«
»Sie und der König hoffen bald schon auf ein weiteres Kind.«
»Was? Eine begründete Hoffnung? Eine allgemeine Hoffnung?«
Er macht eine Pause. Es gibt nichts Definitives. Gregory könnte sich täuschen. »Ich dachte, sie vertraut Ihnen alles an«, sagt Katherine mit scharfer Stimme. Sie studiert sein Gesicht. Lässt sich da ein Zerwürfnis erkennen, ein froideur ? »Es heißt, Henry stellt anderen Frauen nach.« Katherines Finger streichen über das Fell: Gedankenverloren beschreibt sie Kreis um Kreis, reibt durch das Haar. »Es geht so schnell. Die beiden sind erst seit so kurzer Zeit verheiratet. Ich nehme an, sie betrachtet die Frauen um sich herum und fragt sich, fragt sich ständig: Bist du es, Madam? Oder du? Es hat mich immer überrascht, dass sich die, die selbst nicht vertrauenswürdig sind, als blind erweisen, wenn es darum geht, wem sie vertrauen können. La Ana denkt, sie hat Freunde. Aber wenn sie dem König nicht bald einen Sohn schenkt, werden sie sich gegen sie wenden.«
Er nickt. »Vielleicht haben Sie recht. Wer wird der Erste sein?«
»Warum sollte ich sie alarmieren?«, fragt Katherine trocken. »Es heißt, wenn ihr jemand querkommt, schimpft sie wie ein gewöhnliches Weib. Das überrascht mich nicht. Eine Königin, und sie nennt sich eine Königin, muss unter den Blicken der Welt leben und leiden. Keine Frau bis auf die Himmelskönigin steht über ihr, also kann sie sich keinen Beistand in ihren Nöten suchen. Wenn sie leidet, leidet sie allein, und sie braucht eine besondere Würde, um das zu ertragen. Wie es scheint, besitzt Boleyns Tochter diese Würde nicht. Ich frage mich, woran das liegen könnte.«
Sie bricht ab, die Lippen geöffnet, und das Fleisch zieht sich zusammen, als krümmte es sich von den Kleidern weg. Sie haben Schmerzen, will er sagen, doch sie winkt ab, es ist nichts, es ist nichts. »Die Gentlemen um den König herum, die heute schwören, für ihr Lächeln würden sie ihr Leben lassen, werden ihre Hingabe bald einer anderen darbringen. Früher war ich das Ziel dieser Hingabe – weil ich die Frau des Königs war; mit meiner Person hatte es nichts zu tun. Aber La Ana nimmt es als Würdigung ihrer Reize. Und im Übrigen sind es nicht allein die Männer, die sie fürchten sollte. Ihre Schwägerin Jane Rochford, nun, das ist eine aufmerksame junge Frau … Als sie mir diente, hat sie mir oft Geheimnisse zugetragen, Liebesgeheimnisse, Geheimnisse, die ich vielleicht lieber nicht erfahren hätte, und ich bezweifle, dass ihre Augen und Ohren heute weniger scharf sind.« Immer noch arbeiten ihre Finger und massieren einen Punkt in der Nähe ihres Brustbeins. »Sie fragen sich, wie kann Katherine, die Verbannte, wissen, was am Hof vorgeht? Zerbrechen Sie sich ruhig den Kopf darüber.«
Das muss ich nicht lange, denkt er. Es sind Nicholas Carews Frau, eine besonders gute Freundin von Ihnen, und Gertrude Courtenay, die Frau des Marquis von Exeter. Letztes Jahr habe ich sie beim Ränkespinnen erwischt, ich hätte sie einsperren sollen. Vielleicht sogar die kleine Jane Seymour, obwohl es seit Wolf Hall um ihren eigenen Aufstieg geht. »Ich weiß, Sie haben Ihre Quellen«, sagt er. »Aber sollten Sie ihnen trauen? Sie handeln in Ihrem Namen, aber nicht in Ihrem besten Interesse. Oder dem Ihrer Tochter.«
»Werden Sie erlauben, dass die Prinzessin mich besucht? Wenn Sie denken, sie braucht Rat und Festigung, wer könnte ihr da besser helfen als ich?«
»Wenn es in meinem Ermessen läge, Madam …«
»Was kann es dem König schaden?«
»Versetzen Sie sich in seine Lage. Ich glaube, Ihr Botschafter Chapuys hat Lady Mary geschrieben, dass er sie aus dem Land bringen kann.«
»Niemals! Chapuys kann solche Gedanken nicht haben. Das garantiere ich mit meiner Person.«
»Der König denkt, wenn Mary erlaubt würde, Sie zu sehen, könnte sie ihre Bewacher bestechen, davongaloppieren und mit einem Schiff ins Reich Ihres Cousins, des Kaisers, fahren.«
Fast bringt es ein Lächeln auf seine Lippen, sich vorzustellen, die magere, schüchterne kleine Prinzessin könnte sich auf solch verzweifelte, verbrecherische Pfade begeben. Katherine lächelt ebenfalls, ein verzerrtes, tückisches Lächeln. »Und was dann? Hat Henry Angst, meine Tochter könnte mit einem
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