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Falken: Roman (German Edition)

Falken: Roman (German Edition)

Titel: Falken: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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ausländischen Ehemann an der Seite zurückgeritten kommen und ihn aus seinem Reich verjagen? Sie können ihm versichern, dass sie keine derartigen Absichten verfolgt. Auch dafür bürge ich mit meiner Person.«
    »Sie laden sich da einiges auf, Madam: dieses garantieren, für jenes bürgen. Sie können nur ein Mal sterben.«
    »Ich wünsche mir, es hilft Henry. Wenn mein Tod kommt, auf welche Weise auch immer, hoffe ich, ihm so entgegenzutreten, dass er sich ein Beispiel daran nehmen kann, wenn seine eigene Zeit kommt.«
    »Ich verstehe. Denken Sie viel an den Tod des Königs?«
    »Ich denke an sein Leben im Jenseits.«
    »Wenn Sie seiner Seele etwas Gutes tun wollen, warum behindern Sie ihn dann ständig? Das macht kaum einen besseren Menschen aus ihm. Denken Sie nie, wenn Sie sich vor Jahren den Wünschen des Königs gebeugt hätten, ins Kloster gegangen wären und ihm erlaubt hätten, wieder zu heiraten, dass er dann nicht mit Rom gebrochen hätte? Es wäre nicht nötig gewesen. Es herrschten ausreichende Zweifel an Ihrer Ehe, um sich mit Würde daraus zurückzuziehen. Sie wären von allen dafür geehrt worden. Jetzt sind die Titel, an die Sie sich klammern, leer. Henry war ein guter Sohn Roms, Sie haben ihn in diese extreme Lage gebracht. Sie haben das Christentum gespalten, nicht er. Und ich glaube, dass Sie das wissen und in der Stille der Nacht darüber nachdenken.«
    Es entsteht eine Pause, während der sie die großen Seiten im Buch des Zorns umblättert, um den Finger genau auf das richtige Wort zu legen: »Was Sie da sagen, Cromwell, ist … verachtenswert.«
    Wahrscheinlich hat sie recht, denkt er. Aber ich werde sie weiter drängen, ihr weiter den Spiegel vorhalten, ihr alle Illusionen nehmen, und ich tue es ihrer Tochter zuliebe: Mary ist die Zukunft, das einzige erwachsene Kind, das der König hat, Englands einzige Aussicht, sollte Gott den König zu sich rufen und der Thron plötzlich leer sein. »Dann werden Sie mir also keine dieser Seidenrosen schenken«, sagt er. »Ich habe es mir schon gedacht.«
    Ein langer Blick. »Wenigstens stehen Sie als Feind klar vor mir. Ich wünschte, meine Freunde wären genauso offenkundig. Die Engländer sind ein Volk von Scheinheiligen.«
    »Undankbar«, stimmt er ihr zu. »Geborene Lügner. Das finde auch ich. Die Italiener mag ich lieber. Die Florentiner – so bescheiden. Die Venezianer – offen in all ihrem Handeln. Und Ihre eigene Rasse, die Spanier – solch ein ehrbares Volk. Von Ihrem königlichen Vater Ferdinand hieß es, sein offenes Herz würde ihn zu Fall bringen.«
    »Sie machen sich einen Spaß«, sagt sie, »auf Kosten einer sterbenden Frau.«
    »Sie verlangen eine ganze Menge von Ihrem Sterben. Auf der einen Seite bieten Sie Garantien, auf der anderen verlangen Sie Privilegien.«
    »Ein Zustand wie meiner gebiert gewöhnlich Güte und Gewogenheit.«
    »Ich versuche ja, gütig zu sein, aber Sie erkennen es nicht. Können Sie in diesem Zustand, Madam, nicht Ihren eigenen Willen beiseitelassen und sich um Ihrer Tochter willen mit dem König versöhnen? Wenn Sie diese Welt im Streit mit ihm verlassen, wird sie von Schuldvorwürfen heimgesucht werden, und sie ist jung und hat ihr Leben noch vor sich.«
    »Er wird Mary keine Schuld geben. Ich kenne den König. So ein gemeiner Mensch ist er nicht.«
    Er schweigt. Sie liebt ihren Mann noch, denkt er: In einer Ecke oder Spalte ihres alten, ledernen Herzens hofft sie immer noch auf seine Schritte, seine Stimme. Und mit diesem Geschenk von ihm, wie kann sie da vergessen, dass er sie einst geliebt hat? Schließlich muss in den Seidenrosen wochenlange Arbeit gesteckt haben, er muss sie bestellt haben, lange bevor sie wussten, dass es ein Junge sein würde. »Wir nannten ihn den Neujahrsprinzen«, hatte Wolsey gesagt. »Zweiundfünfzig Tage hat er gelebt, und ich habe jeden einzelnen von ihnen gezählt.« England im Winter: der dahintreibende Schnee, der sich auf Felder und Palastdächer legte, Pfannen und Giebel bedeckte, stumm über Fensterscheiben glitt, zerfurchte Straßen befiederte, sich auf Äste von Eichen und Eiben legte, Fische unterm Eis versiegelte und Vögel an Zweige frieren ließ. Er stellt sich die Wiege vor, purpurn, mit dem Wappen Englands vergoldet; die Frauen, welche die Wiege anstießen, in dicke Kleider gehüllt; ein brennendes Kohlebecken und die Luft voll mit den Neujahrsdüften Zimt und Wacholder. Die Rosen, die an ihr siegreiches Bett gebracht wurden – wie? In einem vergoldeten Korb?

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