Falken: Roman (German Edition)
In einer Schachtel, lang wie ein Sarg, einem Schrein, ausgelegt mit polierten Muscheln? Oder aus einem mit Granatäpfeln bestickten Seidentuch auf ihre Decke geschüttet? Zwei glückliche Monate vergehen. Das Kind gedeiht, und alle Welt geht davon aus, dass die Tudors einen Erben haben. Dann am zweiundfünfzigsten Tag Stille hinter dem Vorhang: Atem, kein Atem. Die Hofdamen ergreifen den Prinzen, weinen vor Schreck und Angst, bekreuzigen sich verzweifelt und kauern sich neben die Wiege, um zu beten.
»Ich will sehen, was ich tun kann«, sagt er. »Wegen Ihrer Tochter. Und eines Besuchs.« Wie gefahrvoll kann es sein, ein kleines Mädchen über Land zu bringen? »Ich denke, der König würde es erlauben, wenn Sie Lady Mary raten, sich in jeder Hinsicht seinem Willen zugänglich zu zeigen und ihn, was sie im Moment nicht tut, als Oberhaupt der Kirche anzuerkennen.«
»In dieser Frage muss Prinzessin Mary ihrem eigenen Gewissen folgen.« Katherine hebt eine Hand, die Handfläche ihm zugekehrt. »Ich sehe, dass Sie mich bemitleiden, Cromwell. Das sollten Sie nicht. Ich bin seit Langem auf den Tod vorbereitet. Ich glaube, dass Gott, der Allmächtige, meine Mühen, ihm zu dienen, belohnen wird. Und ich werde meine Kinder wiedersehen, die vor mir gegangen sind.«
Sie könnte dir das Herz brechen, denkt er, wenn es nicht bruchfest wäre. Sie will einen Märtyrertod auf dem Scheiterhaufen, stattdessen stirbt sie in den Fens, allein: erstickt an ihrem eigenen Erbrochenen, wie es aussieht. Er sagt: »Was ist mit Lady Mary? Ist auch sie bereit zu sterben?«
»Prinzessin Mary beschäftigt sich mit den Leiden Christi, seit sie der Wiege entstiegen ist. Sie wird bereit sein, wenn Er sie ruft.«
»Sie sind eine unnatürliche Mutter«, sagt er. »Welche Mutter, welche Eltern würden den Tod eines Kindes riskieren?«
Aber er muss an Walter Cromwell denken. Walter ist mit seinen schweren Stiefeln auf mich gesprungen: auf mich, seinen einzigen Sohn. Er sammelt sich für eine letzte Anstrengung. »Ich habe Ihnen einen Fall als Beispiel angeführt, Madam, in dem die Sturheit, mit der Sie sich gegen den König und seinen Rat wendeten, zu einem Ergebnis geführt hat, das Sie zutiefst verabscheuen. Sie können sich also irren, sehen Sie? Ich bitte Sie, sich zu überlegen, dass Sie sich öfter als nur einmal täuschen können. Um Gottes willen, raten Sie Mary, dem König zu gehorchen.«
»Die Prinzessin Mary«, sagt sie matt. Sie scheint nicht mehr die Luft für weitere Proteste zu haben. Er betrachtet sie einen Moment lang und bereitet sich darauf vor, sich zurückzuziehen. Endlich hebt sie den Blick. »Ich frage mich schon lange, Master, in welcher Sprache Sie die Beichte ablegen? Oder beichten Sie gar nicht?«
»Gott sieht in unsere Herzen, Madam. Da braucht es weder nutzlose Formeln noch einen Mittler.« Und auch keine Sprache, denkt er: Gott braucht keine Übersetzung.
Er fällt aus der Tür und fast in die Arme von Katherines Bewacher: »Ist meine Kammer fertig?«
»Aber Ihr Essen …«
»Schicken Sie mir eine Schüssel Brühe. Ich habe mich leer geredet. Alles, was ich will, ist mein Bett.«
»Mit etwas drin?« Bedingfield sieht ihn spitzbübisch an.
Seine Begleiter haben ihn also verraten. »Nur ein Kissen, Edmund.«
Grace Bedingfield ist enttäuscht, dass er sich so früh zurückzieht. Sie hatte erwartet, sämtliche Neuigkeiten vom Hof zu erfahren. Es ärgert sie, hier mit den schweigsamen Spaniern festzusitzen, den langen Winter vor sich. Er muss die Anweisungen des Königs wiederholen: allergrößte Wachsamkeit der Außenwelt gegenüber. »Es stört mich nicht, wenn Chapuys’ Briefe zu ihr gelangen. Es hält sie beschäftigt, sie zu dekodieren. Sie selbst ist für den Kaiser jetzt nicht wichtig, dem geht es um Mary. Aber keine Besucher, es sei denn mit dem Siegel des Königs oder meinem. Obwohl …« er bricht ab. Er sieht den Tag vor sich, im nächsten Frühjahr, falls Katherine da noch lebt, wenn die Armee des Kaisers ins Landesinnere dringt und es nötig wird, ihm seine Cousine wegzuschnappen und sie als Geisel festzuhalten. Es wäre eine ärmliche Veranstaltung, wenn allein Edmund sich weigern würde, sie herauszugeben. »Sehen Sie«, sagt er und zeigt ihr seinen Ring mit dem Türkis. »Sehen Sie ihn sich an. Der verstorbene Kardinal hat ihn mir gegeben, und ich bin dafür bekannt, dass ich ihn trage.«
»Ist er das, der Zauberring?« Grace Bedingfield nimmt seine Hand. »Der Ring, der Mauern schmelzen und
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