Falken: Roman (German Edition)
hinter vorgehaltener Hand. Und ich würde keinen Widerspruch gegen eine der Aussagen erheben, die er in Versform macht. Selbst, wenn sie übertrieben ist. Weil es in Gedichten doch normal ist, zu übertreiben.«
Er, Cromwell, gratuliert ihr. »Sie haben an alles gedacht, Mistress Seymour. Sie wären ein scharfsinniger Anwalt geworden.«
»Sie meinen, wenn ich als Mann auf die Welt gekommen wäre?« Sie zieht die Brauen zusammen. »Auch dann wäre es nicht wahrscheinlich, Master Sekretär. Die Seymours sind keine Handelsmänner.«
Edward Seymour sagt: »Eine gute Mistress. Und Verse will er schreiben. Sehr gut, bis hierhin. Aber wenn er handgreiflich zu werden versucht, musst du schreien.«
Jane sagt: »Was, wenn niemand kommt?«
Er legt eine Hand auf Edwards Arm. Er will nicht, dass diese Frage weiter erörtert wird. »Hören Sie, Jane. Schreien Sie nicht. Beten Sie. Beten Sie laut, meine ich. Stummes Beten reicht nicht. Sprechen Sie ein Gebet, in dem die heilige Jungfrau vorkommt. Etwas, das an die Frömmigkeit Seiner Majestät und sein Ehrgefühl appelliert.«
»Ich verstehe«, sagt Jane. »Haben Sie ein Gebetbuch dabei, Master Sekretär? Brüder? Macht nichts. Ich werde gehen und meines suchen. Ich bin sicher, ich finde etwas, das den Ansprüchen gerecht wird.«
Anfang Dezember erhält er Nachricht von Katherines Ärzten, dass sie besser isst, aber nicht weniger betet. Der Tod hat sich vielleicht vom Kopfende ans Fußende des Bettes bewegt. Die Schmerzen, die sie zuletzt hatte, sind zurückgegangen, und sie ist bei klarem Verstand. Sie nutzt die Zeit, um ihr Erbe zu regeln. Ihrer Tochter Mary hinterlässt sie einen aus Spanien mitgebrachten Goldkragen und ihre Pelze. Sie will, dass fünfhundert Messen für ihre Seele gelesen werden, und eine Pilgerreise nach Walsingham soll unternommen werden.
Die Einzelheiten ihrer Verfügungen gelangen nach Whitehall. »Diese Pelze«, sagt Henry, »haben Sie die gesehen, Cromwell? Sind sie gut? Wenn ja, will ich, dass man sie mir schickt.«
Auf und ab.
Die Frauen um Anne herum sagen, man würde nicht denken, dass sie enceinte ist. Im Oktober sah sie noch ganz gesund aus, doch jetzt scheint sie Fleisch zu verlieren, statt zu gewinnen. Jane Rochford sagt zu ihm: »Man sollte fast denken, dass sie sich ihres Zustands schämt, und Seine Majestät ist ihr gegenüber auch nicht so aufmerksam wie früher, als ihr Bauch dick war. Da konnte er nicht genug für sie tun. Er folgte all ihren Launen und bediente sie, als wäre er ihre Zofe. Einmal ging ich hinein, und sie hatte die Füße auf seinem Schoß. Er rieb sie ihr wie ein Stallknecht, der sich um eine Mähre mit einem Spalthuf kümmert.«
»Reiben hilft bei einem Spalthuf nicht«, sagt er ernst. »Den müssen Sie beschneiden und in einen speziellen Schuh einpassen.«
Rochford starrt ihn an. »Haben Sie mit Jane Seymour geredet?«
»Warum?«
»Schon gut.«
Er hat gesehen, wie Anne den König betrachtet: wie sie ihn betrachtet, wenn er Jane betrachtet. Da würde man glühenden Zorn erwarten und die entsprechenden Reaktionen: zerschnittene Näharbeiten, zerschmettertes Glas. Stattdessen ist ihr Gesicht schmal, und sie hält den juwelenbesetzten Ärmel vor ihren Leib, in dem das Kind wächst. »Ich darf mich nicht aufregen«, sagt sie. »Es könnte dem Prinzen schaden.« Sie zieht die Röcke zur Seite, wenn Jane vorbeigeht. Sie kauert sich zusammen, die schmalen Schultern sinken ein. Ihr scheint kalt zu sein wie einer vor der Tür zurückgelassenen Waisen.
Auf und ab.
Auf dem Land geht das Gerücht, der Master Sekretär habe sich von seiner letzten Reise nach Hertfordshire oder Bedfordshire eine Frau mitgebracht und sie in seinem Haus in Stepney untergebracht, in Austin Friars oder King’s Place in Hackney, das er für sie auf verschwenderische Weise umbauen lässt. Sie ist eine Gastwirtin, und ihr Mann ist wegen eines neuen Verbrechens verhaftet und eingesperrt worden, das Thomas Cromwell erfunden hat. Der arme Hahnrei soll bei nächster Gelegenheit angeklagt und gehängt werden, obwohl er, anderen Berichten nach, bereits tot in seiner Zelle gefunden wurde, erschlagen, vergiftet und mit durchschnittener Kehle.
III
Engel
Stepney und Greenwich, Weihnachten 1535 – Neujahr 1536
Der Weihnachtsmorgen: Er kommt herausgerannt, und wie auch immer der nächste Ärger aussehen mag, er ist ihm auf den Fersen. Eine riesige Kröte versperrt ihm den Weg. »Ist das Matthew?«
Aus dem amphibischen Maul kommt ein
Weitere Kostenlose Bücher