Falken: Roman (German Edition)
Kämmerer, der Henry natürlich schon von klein auf kennt. William Paulet, der Master Comptroller, sitzt am Kopf der Tafel; und er, Cromwell, fragt sich, bis es ihm erklärt wird, warum sie ihre Kelche (und Augenbrauen) immer wieder heben, um einem Mann zuzuprosten, der gar nicht da ist. Till Paulet sagt leicht verlegen: »Wir trinken auf den Mann, der hier vor mir saß. Den früheren Master Comptroller, Sir Henry Guildford, und sein gesegnetes Andenken. Sie kannten ihn natürlich, Cromwell.«
In der Tat: Wer kannte Guildford nicht, den erfahrenen Diplomaten und gelehrtesten aller Höflinge? Einen Mann im Alter des Königs, seit Henrys Krönung war er dessen rechte Hand gewesen, Henry damals noch ein unerfahrener, wohlmeinender, optimistischer Fürst von neunzehn Jahren. Zwei strahlende Geister, ernsthaft auf der Suche nach Ruhm und Spaß, Master und Diener, die zusammen älter geworden waren. Du hättest darauf gewettet, dass Guildford ein Erdbeben überleben würde, nur Anne Boleyn überlebte er nicht. Auf wessen Seite er stand, war klar: Er liebte Königin Katherine und sagte es auch. (Und wenn ich sie nicht liebte, sagte er, würden der Anstand und mein christliches Gewissen mich dazu zwingen, ihre Sache zu unterstützen.) Der König hatte ihn aus langer Freundschaft entschuldigt. Nur lass uns, bat er ihn dringend, die Sache unerwähnt lassen, unsere Uneinigkeit unausgesprochen. Schweige zu Anne Boleyn. Mach es möglich, dass wir Freunde bleiben.
Aber Schweigen hatte Anne Boleyn nicht gereicht. Der Tag, an dem ich Königin werde, hatte sie Guildford erklärt, ist der Tag, an dem Sie Ihre Stellung verlieren.
Madam, hatte Sir Henry Guildford erwidert, der Tag, an dem Sie Königin werden, ist der Tag, an dem ich zurücktrete.
Und das tat er. Henry sagte: Komm schon, Mann! Lass dich nicht von einer Frau aus deiner Stellung nörgeln! Das ist nichts als weibliche Eifersucht und Bosheit. Achte nicht weiter darauf.
Aber ich fürchte um mich selbst, sagte Guildford. Um meine Familie und meinen Namen.
Verlass mich nicht, sagte der König.
Geben Sie Ihrer neuen Frau die Schuld, sagte Henry Guildford.
Und so verließ er den Hof und ging zurück aufs Land. »Und starb«, sagt William Fitzwilliam, »innerhalb weniger Monate. An gebrochenem Herzen, wie es heißt.«
Ein Seufzen macht die Runde. So gehen Männer dahin, die Arbeit des Lebens hinter sich, den Ennui des Landlebens vor sich: eine Abfolge von Tagen, von Sonntag bis Sonntag, alle ohne Form. Was ist da noch ohne Henry? Ohne sein strahlendes Lächeln? Es ist wie ewiger November, ein Leben im Dunkeln.
»Weshalb wir uns an ihn erinnern«, sagt Sir Nicholas Carew. »An unseren alten Freund. Und wir stoßen auf ihn an, Paulet hier hat nichts dagegen. Auf den Mann stoßen wir an, der immer noch Master Comptroller wäre, wären die Zeiten nicht so aus den Angeln.«
Er hat eine düstere Art, einen Trinkspruch auszubringen, Sir Nicholas Carew. Ungezwungenheit ist einem so ehrbaren Mann unbekannt. Er, Cromwell, hatte schon seit einer Woche mit am Tisch gesessen, bevor sich Sir Nicholas herabließ, ihm einen kalten Blick zuzuwerfen und das Hammelfleisch in seine Richtung zu schieben. Aber ihr Verhältnis hat sich gelockert, schließlich ist er, Cromwell, ein umgänglicher Mensch. Er sieht, dass unter Männern wie diesen, Männern, die gegen die Boleyns unterlagen, Kameradschaft herrscht, eine trotzige Kameradschaft, so wie es sie unter den Sektierern Europas gibt, die ständig mit dem Untergang der Welt rechnen und doch hoffen, nachdem die Erde vom Feuer verschlungen wurde, in Glorie dazusitzen: ein wenig angebrannt, an den Rändern knusprig und hier und da schwarz, aber doch, Dank sei Gott, mit dem ewigen Leben gesegnet und zu seiner Rechten sitzend.
Er hat Guildford persönlich gekannt, wie Paulet ihn erinnert. Es muss jetzt fünf Jahre her sein, dass er großzügig von ihm bewirtet wurde, in Leeds Castle, unten in Kent. Es war natürlich nur, weil Guildford etwas wollte: einen Gefallen vom Mylord Kardinal. Dennoch hat er von Guildfords Tischgesprächen gelernt, von der Art, wie Guildford den Haushalt führte, von seiner Klugheit und seinem diskreten Witz. Später dann hat er durch sein Beispiel gelernt, wie Anne Boleyn eine Laufbahn zerstören konnte und wie weit seine Tischgenossen davon entfernt waren, ihr zu vergeben. Männer wie Carew, das weiß er, neigen dazu, ihm, Cromwell, die Schuld an Annes Aufstieg in der Welt zu geben. Er hat ihn erleichtert, hat die
Weitere Kostenlose Bücher