Falken: Roman (German Edition)
streng. »Ja, ich höre, dass die alte Frau wieder nicht isst. Sind Sie deswegen hier?«
Harry Norris flüstert: »Ich muss mich als Mohr verkleiden. Wollen Sie mich entschuldigen, Master Sekretär?«
»Wir werden schon irgendwie zurechtkommen«, sagt er. Norris schwindet dahin. Die nächsten zehn Minuten muss er dastehen und den beredt hervorquellenden Lügen des Königs zuhören. Die Franzosen, erzählt der König, haben ihm große Versprechungen gemacht, an die er ausnahmslos glaubt. Der Herzog von Mailand ist tot, sowohl Karl wie auch François beanspruchen das Herzogtum für sich, und wenn sie zu keiner Einigung kommen, wird es Krieg geben. Natürlich ist er ein Freund des Kaisers, aber die Franzosen haben ihm Städte versprochen, sie haben ihm Burgen versprochen, einen Seehafen sogar, sodass er in seiner Verpflichtung auf das Gemeinwohl ernsthaft über eine offizielle Allianz nachdenken muss. Er weiß jedoch, dass es in der Macht des Kaisers steht, ebenso gute Angebote zu machen, wenn nicht bessere …
»Ich will Ihnen nichts verhehlen«, erklärt Henry seinem Besucher, »als Engländer bin ich immer geradeheraus. Ein Engländer lügt oder täuscht niemals, nicht mal zu seinem eigenen Vorteil.«
»Wie es scheint«, blafft Chapuys, »sind Sie zu gut für dieses Leben. Wenn Sie sich nicht um die Interessen Ihres Landes kümmern können, muss ich es für Sie tun. Die Franzosen werden Ihnen kein Land geben, was immer sie sagen. Darf ich Sie daran erinnern, was für ein ärmlicher Freund Frankreich in diesen letzten Monaten für Sie war, in denen Sie Ihr Volk nicht zu ernähren vermochten? Ohne die Getreidelieferungen, die mein Master erlaubt, würden sich die Leichen Ihrer Untertanen von hier bis zur schottischen Grenze türmen.«
Das ist leicht übertrieben. Wie gut, dass Henry in Festtagslaune ist. Er mag Festessen, Zeitvertreibe, eine Stunde auf dem Turnierplatz, die Aussicht auf ein Maskenspiel. Und noch mehr mag er den Gedanken, dass seine ehemalige Frau in den Fens liegt und ihren letzten Atemzug tut. »Kommen Sie, Chapuys«, sagt er. »Wir besprechen uns in meinen Gemächern.« Er zieht den Botschafter mit sich und zwinkert ihm, Cromwell, über dessen Kopf hinweg zu.
Aber Chapuys bleibt unvermittelt stehen. Der König muss ebenfalls stehen bleiben. »Majestät, wir können später über alles reden. Mein Vorhaben duldet keine Verzögerung. Ich bitte um Erlaubnis, zu … zu Katherine zu reisen. Und ich flehe Sie an, auch Ihrer Tochter zu erlauben, sie zu besuchen. Es könnte das letzte Mal sein.«
»Oh, ohne eine Zusammenkunft meines Rates kann ich Lady Mary nirgends hinreisen lassen, und ich sehe keine Möglichkeit, den heute noch einzuberufen. Die Straßen, wissen Sie. Was Sie angeht, wie wollen Sie denn reisen? Haben Sie Flügel?« Der König gluckst. Er festigt seinen Griff und zieht den Botschafter davon. Eine Tür schließt sich. Er, Cromwell, steht da und starrt das Holz an. Was für Lügen werden dahinter noch erzählt werden? Chapuys wird die Knochen seiner Mutter mit in die Waagschale werfen müssen, will er mit den großartigen Angeboten gleichziehen, die Henry, wie er behauptet, von den Franzosen bekommen hat.
Er fragt sich, was der Kardinal tun würde. Wolsey hat immer gesagt: »Kommen Sie mir nie mit der Behauptung, Sie wüssten nicht, was hinter verschlossenen Türen vorgeht. Finden Sie es heraus.«
Also. Er wird sich einen Grund einfallen lassen, den beiden zu folgen. Aber da ist Norris und versperrt ihm den Weg. In seinem Mohrengewand, das Gesicht geschwärzt, wirkt er ausgelassen, lächelt, ist aber immer noch wachsam. Ein erstklassiges Weihnachtsspiel: Lasst uns Cromwell auf die Nerven gehen. Er will Norris gerade bei der seidenen Schulter fassen und ihn wegdrehen, als ein kleiner Drache vorbeigewackelt kommt. »Wer steckt in dem Drachen?«, fragt er.
Norris schnaubt. »Francis Weston.« Er schiebt seine wollige Perücke zurück und lässt die edle Stirn sehen. »Dieser Drache macht sich, wackel, wackel, auf zu den Gemächern der Königin und wird sie um Süßigkeiten anbetteln.«
Er grinst. »Sie klingen bitter, Harry Norris.«
Warum sollte er nicht? Er hat seinen Dienst an der Tür der Königin abgeleistet. Auf ihrer Schwelle.
Norris sagt: »Sie wird mit ihm spielen und seinen kleinen Leib tätscheln, sie mag kleine Hunde.«
»Haben Sie herausgefunden, wer Purkoy getötet hat?«
»Sagen Sie das nicht«, fleht der Mohr. »Es war ein Unfall.«
Neben ihm taucht William
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