Falken: Roman (German Edition)
strahlenden Licht Gottes, ihre toten Kinder zu ihren Füßen, aber Anne lebt noch in der sündigen Welt tief darunter, schmort im Kindbettschweiß, in ihren beschmutzten Laken. Ihre Hände und Füße sind kalt, und ihr Herz ist aus Stein.
So, da ist der Herzog von Norfolk und erwartet, verköstigt zu werden. In seinem besten Aufzug oder jedenfalls einem, der gut genug für Lambeth Palace ist, sieht er aus wie ein Stück Tau, auf dem ein Hund herumgekaut hat, ein Stück Knorpel, das neben einem Holzteller zurückgelassen wurde. Helle, grimmige Augen unter wüsten Brauen. Eisernes Stoppelhaar. Mager, sehnig, und er riecht nach Pferden, Leder und der Werkstatt des Waffenschmieds und merkwürdigerweise auch nach einem Schmelzofen oder abkühlender Asche: staubtrocken, stechend. Er fürchtet keinen lebenden Menschen bis auf Henry Tudor, der ihm aus einer Laune heraus sein Herzogtum nehmen könnte. Und die Toten. Es heißt, dass man den Herzog in seinen Häusern zum Ende des Tages die Fensterläden zuschlagen und Riegel vorschieben hört, damit der tote Kardinal Wolsey nicht hereingeweht werden und die Treppe heraufgleiten kann. Wenn Wolsey Norfolk wollte, würde er sich stumm in eine Tischplatte legen und mit der Maserung des Holzes atmen. Er würde durch ein Schlüsselloch sickern oder einen Kamin herabsinken, sanft flatternd wie eine rußgeschwärzte Taube.
Als Anne Boleyn, eine Nichte seiner glorreichen Familie, in der Welt aufstieg, dachte der Herzog, es sei mit seinen Sorgen vorbei. Denn er hatte Sorgen. Selbst noch der größte Fürst hat Rivalen, Menschen, die ihm übelwollen, Verleumder, und er dachte, wenn Anne erst gekrönt sei, säße er auf ewig zur Rechten des Königs. Aber so ist es nicht gekommen, und der Herzog ist unzufrieden. Die Verbindung hat den Howards nicht den erhofften Reichtum und die erwarteten Ehren eingebracht. Anne hat alles selbst eingestrichen, zusammen mit Thomas Cromwell. Der Herzog denkt, Anne sollte von ihren männlichen Verwandten geführt werden, aber sie lässt sich nicht führen. Tatsächlich hat sie deutlich gemacht, dass sie sich selbst, nicht den Herzog, als Kopf der Familie sieht. Was, nach Ansicht des Herzogs, unnatürlich ist: Eine Frau kann nicht der Kopf von etwas sein, Unterordnung und Gehorsam kennzeichnen ihre Rolle. Lass sie Königin sein und eine reiche Frau, trotzdem sollte sie ihren Platz kennen oder ihn nahegebracht bekommen. Howard murrt manchmal öffentlich: nicht über Henry, sondern über Anne Boleyn. Und er hält es für zweckdienlich, seine Zeit auf seinem eigenen Land zu verbringen und seine Herzogin zu drangsalieren, die immer wieder an Thomas Cromwell schreibt und sich über die Behandlung durch ihren Mann beschwert. Als könnte er, Thomas Cromwell, den Herzog zu einem der großen Liebhaber dieser Welt machen oder auch nur zu so etwas Ähnlichem wie einem vernünftigen Mann.
Als dann Annes letzte Schwangerschaft bekannt wurde, kam der Herzog an den Hof, flankiert von seinen grienenden Bediensteten und bald auch gefolgt von seinem merkwürdigen Sohn. Surrey ist ein schrecklich eingebildeter junger Mann, der sich für gut aussehend, begabt und erfolgreich hält. Dabei hat er ein schiefes Gesicht und tut sich keinen Gefallen damit, sein Haar im Topfschnitt zu tragen. Hans Holbein gibt zu, dass er eine Herausforderung darstellt. Surrey ist heute auch in Lambeth und verpasst damit einen Abend im Bordell. Sein Blick kreist durch den Raum, vielleicht denkt er, Cranmer versteckt nackte Mädchen hinter den Wandbehängen.
»Nun denn«, sagt der Herzog und reibt sich die Hände. »Wann kommen Sie mich in Kenninghall besuchen, Thomas Cromwell? Bei uns lässt sich gut jagen, bei Gott, wir haben etwas für jede Jahreszeit. Und ich kann Ihnen einen Bettwärmer besorgen, wenn Sie wollen, eine einfache Frau von der Art, wie Sie sie mögen. Wir haben gerade eine Magd bekommen« – der Herzog saugt Luft durch die Zähne – »deren Zitzen sollten Sie mal sehen.« Seine knotigen Finger kneten die Luft.
»Nun«, murmelt er, »ich möchte Ihnen ungern etwas wegnehmen.«
Der Herzog wirft einen Blick zu Cranmer hinüber. Vielleicht sollte er lieber nicht über Frauen reden? Aber Cranmer ist schließlich kein richtiger Erzbischof, nicht in Norfolks Augen, für ihn ist er ein kleiner Angestellter, den Henry in den Fens gefunden und der seinem König versprochen hat, alles zu tun, was von ihm verlangt wird. Für eine Mitra und zwei gute Mahlzeiten pro Tag.
»Lieber Himmel,
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