Falken: Roman (German Edition)
»Mistress Shelton, vergeben Sie mir. Liebes, ich wollte Sie nicht zum Weinen bringen.«
Henry hat Schmerzen. Das Bein, das er sich vor über zehn Jahren bei einem Turnier verletzt hat, ist von den Ärzten abgebunden worden. Es neigt dazu, Geschwüre zu bilden, und offenbar hat der neuerliche Sturz einen Kanal ins Fleisch geöffnet. All sein Draufgängertum ist verflogen, es ist wie in den Tagen, da er von seinem Bruder Arthur geträumt hat und die Toten ihn verrückt gemacht haben. Es ist das zweite Kind, das sie verloren hat, sagt er am Abend vertraulich: Obwohl, wer weiß, vielleicht gab es schon mehr, Frauen behalten diese Dinge für sich, bis ihr Bauch sie verrät, und wir wissen nicht, wie viele von meinen Erben schon verblutet sind. Was verlangt Gott jetzt von mir? Was muss ich tun, um ihm zu gefallen? Ich sehe, dass er mir keine männlichen Kinder schenken will.
Er, Cromwell, hält sich im Hintergrund, während Thomas Cranmer sich, blass und milde, um den schmerzlichen Verlust des Königs kümmert. Wir missverstehen unseren Schöpfer oft, sagt der Erzbischof, wenn wir ihn für jeden Unfall der Natur verantwortlich machen.
Ich dachte, er achte auf jeden Spatz, der vom Ast fällt, sagt der König trotzig wie ein Kind. Warum achtet er da nicht auf England?
Cranmer wird es ihm begründen können. Er, Cromwell, hört kaum zu. Er denkt an die Frauen um Anne herum: schlau wie Schlangen, sanft wie Täubchen. Schon wird eine Wahrheit über die Ereignisse des Tages gesponnen. Im Gemach der Königin wird sie gesponnen. Anne Boleyn trägt an ihrem Unglück keine Schuld. Es war der Fehler ihres Onkels Thomas Howard, des Herzogs von Norfolk. Er war es, der nach dem Sturz des Königs bei der Königin hereinstürzte und rief, Henry sei tot, womit er ihr solch einen Schreck versetzte, dass das ungeborene Herz zu schlagen aufhörte.
Und weiter: Es ist Henrys Schuld. Es ist die Art, wie er sich benimmt, die Tochter des alten Seymour anhimmelt, Briefe auf ihrem Platz in der Kapelle zurücklässt und ihr Süßes von seinem Tisch schickt. Zu sehen, dass er eine andere liebt, hat die Königin im Innersten getroffen. Die Trauer hat ihre inneren Organe rebellieren und das schwache Kind ausstoßen lassen.
Um mich klar auszudrücken, sagt Henry kalt, als er am Fuß des Bettes der Lady steht und von dieser Erklärung der Ereignisse hört. Um mich zu diesem Punkt klar auszudrücken, Madam: Wenn irgendeiner Frau die Schuld zu geben ist, dann der, die ich gerade ansehe. Ich werde mit Ihnen reden, wenn es Ihnen besser geht. Und jetzt leben Sie wohl, denn ich reite nach Whitehall, um mich auf das Parlament vorzubereiten. Sie bleiben besser im Bett, bis Sie wiederhergestellt sind. Was mir, wie ich denke, niemals vergönnt sein wird.
Anne ruft ihm hinterher, wenigstens sagt Lady Rochford das: »Bleiben Sie, bleiben Sie, Mylord, ich werde Ihnen bald schon ein anderes Kind schenken, und das umso schneller, da Katherine tot ist …«
»Ich verstehe nicht, wie das den Vorgang beschleunigen sollte.« Henry humpelt davon. In seinen eigenen Gemächern dann behandeln ihn seine Kammerherren äußerst vorsichtig, als wäre er aus Glas, und bereiten seinen Aufbruch vor. Henry bereut bereits seine hastige Erklärung, denn wenn die Königin zurückbleibt, bleiben auch die anderen Frauen zurück, und er wird sich nicht mehr am süßen Teiggesicht Janes weiden können. Weitere Hinweise folgen ihm, vielleicht von Anne in eine Nachricht gefasst: Dieser verlorene Fötus, der zu Lebzeiten Katherines empfangen wurde, besaß nicht den Wert dessen, der nun gezeugt werden wird, zu einem noch unbekannten Datum, aber doch bald schon. Denn hätte das Kind überlebt, wäre sein Anspruch auf den Thron sicher von einigen infrage gestellt worden, wohingegen Henry jetzt Witwer ist und niemand in der ganzen Christenheit mehr bezweifeln kann, dass seine Ehe mit Anne rechtskräftig und damit jeder Sohn, den sie bekommen, ein Erbe Englands ist.
»Was halten Sie von dieser Argumentation?«, will Henry wissen. Das Bein dick bandagiert, lässt er sich auf einen Stuhl in seinen Gemächern sinken. »Nein, besprechen Sie sich nicht. Ich will von jedem einzeln eine Antwort, von jedem Thomas für sich.« Er verzieht das Gesicht, obwohl er eigentlich lächeln will. »Wissen Sie überhaupt, was für eine Verwirrung Sie unter den Franzosen stiften? Die haben Sie beide miteinander verschmolzen, zu einem meiner Räte, und nennen Sie in ihren Depeschen Dr. Chramuel.«
Sie
Weitere Kostenlose Bücher