Falken: Roman (German Edition)
wechseln Blicke, er und Cranmer: der Schweinemetzger und der Engel. Aber der König wartet nicht auf ihre Antwort, ob nun untereinander abgestimmt oder nicht. Er redet weiter wie ein Mann, der sich einen Dolch in den Leib sticht, um zu beweisen, wie sehr es schmerzt. »Wenn ein König keinen Sohn bekommen kann, wenn ihm das nicht gelingt, ist es nicht wichtig, was er sonst noch tut. Die Siege, die er erringt, die Beute, die gerechten Gesetze, die er erlässt, die Berühmtheit seiner Höfe, das alles zählt nichts.«
Es stimmt. Die Stabilität des Reiches zu erhalten: Das ist die Übereinkunft, die der König mit seinem Volk getroffen hat. Wenn er keinen eigenen Sohn bekommen kann, muss er einen Erben finden und benennen, bevor das Land in Zweifel und Verwirrung fällt und Opfer von Zersplitterung und Verschwörungen wird. Und wen kann Henry benennen, der nicht ausgelacht wird? Der König sagt: »Wenn ich daran denke, was ich für die derzeitige Königin getan habe, wie ich sie aus ihrer Stellung als Tochter eines Gentlemans erhöht habe … will mir nicht einfallen, was für einen Grund ich dafür hatte.« Er sieht aus, als wollte er fragen: Wissen Sie es, Dr. Chramuel? »Mir scheint«, er sucht ratlos nach den richtigen Ausdrücken, »mir scheint, ich wurde auf geradezu betrügerische Weise in diese Ehe gelockt.«
Er, Cromwell, wirft einen Blick auf die andere Hälfte seines Selbst, wie durch einen Spiegel. Cranmer wirkt wie geschlagen. »Wie, betrügerisch?«, fragt der Erzbischof.
»Ich habe das Gefühl, nicht klar bei Sinnen gewesen zu sein. Nicht so wie jetzt.«
»Aber, Sir«, sagt Cranmer. »Majestät. Zu Ihrer Ehrenrettung muss gesagt werden, dass Ihr Geist im Augenblick gar nicht klar sein kann. Sie haben einen schweren Verlust erlitten.«
Zwei Verluste, denkt er: Heute wurde Ihr Sohn tot geboren und Ihre erste Frau begraben. Kein Wunder, dass Sie zittern.
»Mir scheint, ich wurde verführt«, sagt Henry. »Ich meine, ich wurde bearbeitet, vielleicht mit Amuletten, vielleicht mit Zaubersprüchen. Frauen tun solche Dinge. Und wenn, wäre meine Ehe ungültig, nicht wahr?«
Cranmer hält die Hände wie ein Mann vor sich hin, der die Flut aufzuhalten versucht. Er sieht, wie sich seine Königin in Luft auflöst: seine Königin, die so viel für die wahre Religion getan hat. »Sir, Sir … Majestät.«
»Oh, Friede!«, sagt Henry, als hätte Cranmer das alles angefangen. »Cromwell, als Sie Soldat waren, haben Sie da jemals von etwas gehört, das ein Bein wie meines heilen könnte? Ich habe es mir erneut angeschlagen, und die Ärzte meinen, die widrigen Säfte müssen heraus. Sie fürchten, die Fäulnis sei bereits bis zum Knochen vorgedrungen. Aber sagen Sie niemandem etwas davon. Ich würde es nicht mögen, wenn das Ausland davon erfährt. Wollen Sie bitte einen Pagen schicken und Thomas Vicary rufen lassen? Ich denke, er muss mich zur Ader lassen. Ich brauche Erleichterung. Haben Sie eine gute Nacht.« Und fast für sich fügt er noch hinzu: »Denn ich denke, selbst ein Tag wie dieser muss sein Ende finden.«
Dr. Chramuel geht hinaus. Im Vorzimmer sieht der eine den anderen an. »Morgen ist er wieder anders«, sagt der Erzbischof.
»Ja. Unter Schmerzen sagt ein Mann alles Mögliche.«
»Wir sollten dem keine Beachtung schenken.«
»Nein.«
Sie sind wie zwei Männer, die dünnes Eis überqueren. Halten einander und machen winzige, zaghafte Schritte. Als würde das helfen, wenn es um sie herum zu brechen beginnt.
Cranmer sagt unsicher: »Die Trauer um das Kind schüttelt ihn. Würde er so lange auf Anne warten, um sie so schnell wieder loswerden zu wollen? Die beiden sind bald wieder die besten Freunde.«
»Im Übrigen«, sagt er, »ist er nicht der Mann, der zugibt, sich geirrt zu haben. Er mag seine Zweifel an dieser Ehe haben, aber Gott helfe allen, die sie offen aussprechen.«
»Wir müssen diese Zweifel zerstreuen«, sagt Cranmer. »Wir zwei müssen das tun.«
»Er wäre gern der Freund des Kaisers. Jetzt, wo Katherine nicht mehr ist, um das Verhältnis zwischen ihnen zu trüben. Und so müssen wir der Tatsache ins Auge sehen, dass die jetzige Königin …« Er zögert, es auszusprechen: entbehrlich ist. Er zögert zu sagen: ein Hindernis für den Frieden ist.
»Sie ist im Weg«, sagt Cranmer frei heraus. »Aber er wird sie doch nicht opfern? Sicher wird er das nicht. Nicht um Kaiser Karl oder sonst jemandem zu gefallen. Das brauchen die nicht zu denken. Das braucht Rom nicht zu denken.
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