Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Falkengrund Nr. 29

Falkengrund Nr. 29

Titel: Falkengrund Nr. 29 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
Vom Netzwerk:
auf. Yuki hatte es zwar ein wenig wehgetan, mit ansehen zu müssen, wie der todkranke Mann wegen seines Lebenswillens gescholten wurde, aber im Inneren hatte sie ihrer Mutter beigepflichtet. Auch sie hatte Vaters Entscheidung nicht mit Stolz erfüllt, sondern mit Scham, und zunächst brachte sie es nicht über sich, irgendjemandem davon zu erzählen.
    Spätestens jetzt würde es unweigerlich an die Öffentlichkeit kommen. Sie hatte im Center angerufen, um einen Termin abzustimmen. Man hatte sie mit Dr. Nomura verbunden, der leitenden Ärztin, und schon beim ersten „Hallo“ tauchte das eckige, abweisende Gesicht auf der Leinwand in ihrem Gehirn auf. Nach fünf Jahren war es in ihrer Erinnerung kein bisschen verblasst.
    Als sie ihr Anliegen vortrug, herrschte für einen Moment Stille. Dann erklärte Dr. Nomura, dass sie ihren Wunsch nicht erfüllen könne. Yuki war ganz sicher, dass die Stimme der Ärztin zitterte. Das Gespräch ging einige Minuten lang hin und her, bis Yuki schließlich entnervt auflegte.
    Eine Woche später stand sie in Begleitung eines Anwalts in Funabashi vor der Tür des Hauses, eine Kopie des Vertrages in der Hand, den ihr Vater seinerzeit mit dem Unternehmen geschlossen hatte. Durch die Sprechanlage drohte der Advokat rechtliche Konsequenzen an für den Fall, dass man sie nicht einließ, und Yuki fügte rasch hinzu, es sei eine Kleinigkeit für sie, einen Medienskandal zu entfachen. Sekunden später öffnete sich die Tür und die beiden wurden mit übertriebener Höflichkeit und unter tausend Verbeugungen hereingebeten.
    Offenbar weilte Dr. Nomura gerade nicht im Haus. Der Institutsleiter rief seinen Rechtsbeistand an und bat sie, ein paar Minuten zu warten. Als der Anwalt eintraf, hatte er das Hemd falsch zugeknöpft und die Krawatte ungeschickt gebunden.
    Yukis Anwalt hatte sie gebeten, ihr zunächst ein paar Minuten für ein Gespräch mit seinem Kollegen zu geben, also hatte sie in dem nüchtern eingerichteten Raum Platz genommen, bis sie es nicht mehr aushielt.
    Jetzt ging sie an der Statue vorbei und klopfte an die Tür, hinter der sie aufgebrachte Stimmen hörte. Der Streit verstummte, sie trat ein. Mit Erleichterung sah sie, dass ihr eigener Anwalt einen strengen, aber beherrschten Eindruck machte, während der der Gegenseite rote Flecken im Gesicht trug und sein blaues Hemd vollgeschwitzt hatte.
    Der Institutsleiter saß in einem modernen Designersessel in einer Ecke des Büros. Offensichtlich hatte er die hitzige Diskussion stumm verfolgt. Jetzt erhob er sich und breitete die Arme aus. „Wir gehen hinunter“, erklärte er. „Frau Maeda hat ein vertraglich zugesichertes Recht, ihren Vater zu sehen und zu fotografieren.“
    „Dr. Nomura hat es mir untersagt“, meinte Yuki.
    „Ich werde Frau Dr. Nomura anrufen und mit ihr reden“, erwiderte der Leiter. „Und zwar nachdem sie Ihren Vater gesehen haben.“
    Beide Anwälte wirkten erleichtert.
    „Kommen Sie“, sagte der Leiter. „Wir müssen das Gebäude verlassen und von der Seite her noch einmal betreten.“
    „Ich weiß.“
    Zu zweit gingen sie nach draußen. Die beiden Anwälte blieben im Büro zurück und schielten beide gierig nach dem Wasserspender.
    Das FCC-Gebäude sah aus, wie man sich moderne Architektur im Allgemeinen vorstellte. Unter einem gläsernen Pyramidendach lag ein verdrehter Quader, es gab fast keine Wände, nur Fenster, was wohl einen Eindruck von Transparenz vermitteln sollte. Geradezu lachhaft, denn alles, worauf es wirklich ankam, lag verborgen unter der Oberfläche.
    Es war ein milder Herbsttag. Von einem weit entfernten Ahornbaum wehte ein einzelnes rotes Blatt herüber und verfing sich für einen Augenblick an Yukis Füßen. Sie trug ein schlichtes grünes Kleid und hohe Schuhe, der Mann einen dunklen Anzug. Er blinzelte ihr zu. „Sie müssen Dr. Nomuras Verhalten entschuldigen“, meinte er. „Menschlich mag sie ein bisschen schwierig sein, aber auf ihrem Gebiet ist sie ist eine Koryphäe. Es war einfach Pech, dass Sie nicht gleich mich am Apparat hatten.“
    Yuki ging darauf nicht ein. Stattdessen fragte sie: „Wie geht das Geschäft?“
    „Wir lieben es nicht, es als Geschäft zu bezeichnen“, sagte er mit einem bitteren Lächeln. „Aber mittlerweile ruhen sechsunddreißig Patienten bei uns, wenn Sie das meinen.“
    „Sie müssen ja einen hübschen Verdienst haben.“ Yuki wusste, dass sie sich unverschämt benahm, aber es störte sie nicht. Sie hatte noch immer nicht verwunden, dass

Weitere Kostenlose Bücher