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Falkengrund Nr. 29

Falkengrund Nr. 29

Titel: Falkengrund Nr. 29 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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keine Zeitschriften und auch kein Teppichboden. Nicht einmal Bilder hingen an den Wänden, nur ein Poster mit einem dunkelblauen Schriftzug auf hellblauem Grund:
    „Zwischen dem Beginn Ihres Todes und dem Ende Ihres Lebens können Jahrhunderte liegen.“
    Man begriff die Botschaft des Satzes nur dann, wenn man wusste, in welchem Zusammenhang er stand. Ganz unten in der rechten Ecke war fast ein wenig verschämt das Logo des Instituts untergebracht worden: ein stilisierter Mensch vor einem strahlenden Etwas, das eine Sonne sein mochte. FCC – Funabashi Cryonics Center, darunter winzig klein eine Telefonnummer und eine Mailadresse. Keine Postanschrift.
    Yuki öffnete die Tür und trat in den Flur hinaus. Er war menschenleer und roch nach dem Zitronenaroma eines Reinigungsmittels. Von hier aus gesehen wirkte das Institut sehr klein. Ein paar Büros waren im Kreis um eine mannsgroße Bronzestatue angeordnet, die das Motiv des Firmenlogos aufgriff und künstlerisch interpretierte. Der Mensch war diesmal eindeutig ein Mann, vollkommen nackt und athletisch. Seine Haare waren zerzaust, als blase eine frische Brise hindurch, und er hatte ein Lächeln auf dem europäisch wirkenden Gesicht, viel mehr als nur zuversichtlich, triumphierend beinahe.
    Ein schmaler Gang führte von der Statue weg, an einem Trinkwasserspender vorbei, direkt zur gläsernen Eingangstür. Davor gab es drei Parkplätze, und das schien auch schon alles zu sein. Tatsächlich hatte das FCC kaum Personal – so viel hatte sie in Erfahrung gebracht.
    Der wichtige Teil des Instituts lag zwei Stockwerke unter der Erde, erreichbar nur über einen separaten Eingang an der Querseite des Gebäudes. Dort unten befanden sich die Menschen, die keinen Parkplatz mehr brauchten.
    Sie erinnerte sich genau an alles. Fast auf den Tag genau vor fünf Jahren hatte sie die Leiche ihres Vaters hierher begleitet. Unmittelbar nach dem Eintritt des Stadiums, das man den klinischen Tod nannte, war er hierher transportiert worden, in einem speziell zu diesem Zweck ausgestatteten Kühlwagen, den das Institut zur Verfügung stellte.
    Schon auf der Fahrt von Tôkyô hierher hatten die Vorbereitungen für das Einfrieren seines Körpers begonnen. Für Trauer und stilles Abschiednehmen war keine Zeit gewesen. Das hatte sie gestört, denn auch wenn man ihr einzureden versuchte, er sei nicht wirklich tot (zumindest nicht endgültig), so musste es doch allen klar sein, dass sich ihre Wege nie wieder kreuzen würden. Wenn man ihren Vater in ferner Zukunft tatsächlich erfolgreich wieder zum Leben erwecken konnte, würde sie längst tot sein. Es war also ein Abschied für immer gewesen, ganz gleich, was sie einem erzählen mochten.
    Schrittweise wurde sein Blut durch einen chemischen Cocktail ersetzt, die Temperatur langsam abgesenkt. Als man ihn aus dem Wagen lud, befand sich sein Leib in einer gläsernen Röhre, und seine Haut hatte eine weiße Färbung angenommen, die noch deutlich über die Blässe hinausging, die frisch Verstorbenen normalerweise eigen war. Man hatte ihm die Augen nicht geschlossen, und so starrte er, nachdenklich, wie es schien, ins Leere, als frage er sich, ob die Menschen, von denen sein zukünftiges Schicksal abhing, ihre Sache auch recht machen würden.
    Yuki empfand das Vorgehen der Mediziner und technischen Helfer als ausgesprochen professionell. Die einzelnen Handgriffe liefen ohne Zögern ab und zeugten von Übung – kaum zu glauben, dass ihr Vater erst der neunte Patient sein sollte, den man in diesem Haus versorgte. Hatte man diese bizarre Tätigkeit an Puppen geübt?
    Sie durfte dem Team in die Räumlichkeiten unter der Erde folgen. Ihre Mutter hatte im Krankenhaus einen eiligen Abschied von dem Toten genommen und sich geweigert, ihn an diesen Ort zu begleiten. Sie war nie einverstanden mit Vaters Plänen gewesen. Die beiden hatten häufig darüber gestritten, hatten in den letzten Monaten gewiss mehr über die Details dieser neuen Wissenschaft, der Kryonik, diskutiert als über seine Krankheit oder alle anderen Dinge, die im Leben wichtig waren.
    Yuki sah sich jetzt noch in den chromblitzenden Fahrstuhl steigen, der groß genug war, um die Bahre mit dem Leichnam und das gesamte Team aufzunehmen, dazu einen Wust aus Geräten, die man auf kleinen rollenden Tischchen neben dem Toten herschob. Nur für sie, die Tochter, war er beinahe zu eng – ihr dunkler Rock wehte im Wirbel eines Ventilators und unterbrach für eine volle Minute immer wieder die

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