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Falkengrund Nr. 30

Falkengrund Nr. 30

Titel: Falkengrund Nr. 30 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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erkennen, auf die er zuvor niemals gekommen wäre. Zweifellos war dies ein vorübergehender Zustand. Er spürte bereits, wie die neugewonnenen Kräfte zu schwinden begannen, doch ehe sie versickerten und sein Durchschnittsverstand wieder die Oberhand bekam, wollte er sie nutzen. Nutzen, um ein wenig Licht in das größte Geheimnis zu bringen, das ihm bislang begegnet war: Schloss Falkengrund.
    „Privat?“ Werner Hotten erhob sich. Vor ihm lagen die Bilanzbücher der Schule.
    „Finanzielle Probleme?“, erkundigte sich Fachinger. Die großen Buchseiten waren zerknittert und wellig, einige Einträge verwischt, als wäre jemand mit schweißnassen Fingern wieder und wieder die Zeilen und Spalten abgefahren. Wer so etwas tat, musste in tiefen Schwierigkeiten stecken.
    Offenbar war der Rektor nicht bereit, die Karten auf den Tisch zu legen. Er sagte nur: „Es gibt überall Täler und Höhen.“
    „Ganz besonders im Schwarzwald“, lachte Fachinger. Dann zog er eine Grimasse. Sein Humor hatte sich nicht in dem Maße verbessert, wie seine detektivischen Fähigkeiten es getan hatten. Vielleicht hatte er den Schraubenzieher mit den falschen Leuten getauscht …
    Seine Hand suchte nach dem Schnupftabak, aber er ließ das Döschen stecken und räusperte sich. „Ich möchte, dass Sie mir die Wahrheit über Lorenz von Adlerbrunn verraten“, meinte er. „Als ich das letzte Mal hier war, haben Sie mir ein hübsches Theater vorgespielt.“
    „Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen“, behauptete Werner. Auch ohne seine neuen Fähigkeiten hätte Fachinger gemerkt, dass er log.
    „Ich würde gern nach oben gehen.“
    Ein leichter Anflug von Panik blitzte in den Augen des Rektors auf. „Bitte, tun Sie, was Sie nicht lassen können. Aber ich weise Sie ausdrücklich darauf hin, dass ich die Tür zum Zimmer des Barons nicht öffnen kann – nicht noch einmal , meine ich.“
    „Bemühen Sie sich nicht mit den kleinen Unwahrheiten“, sagte Fachinger gutmütig. „Ich erwarte nicht, dass Sie die Tür öffnen. Eine Katastrophe wäre die Folge, nicht wahr? Der Geist, dem ich damals begegnet bin, war nicht Lorenz von Adlerbrunn. Sonst hätte ich die Begegnung mit ihm nicht überstanden. Insofern bin ich Ihnen sehr zu Dank verpflichtet.“
    Werner sah ihn mit großen Augen an.
    Der Hauptkommissar fuhr fort: „Ich nehme an, Sie haben mich in einen anderen Raum gelotst. Der Flur kam mir kürzer vor, ich erinnere mich. Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich mir das Zimmer noch einmal ansehe? Jenes, das ich betreten habe?“
    „Natürlich nicht, aber …“
    „Es steht leer?“
    „Nein. Es ist das Zimmer eines Studenten.“
    „Name?“
    „Michael Löwe.“
    „Ein Einzelzimmer? Haben Sie viele Einzelzimmer auf Schloss Falkengrund?“
    „Jeder Dozent hat eines. Und ich.“
    „Und der Student Michael Löwe.“
    Werner nickte.
    „Warum?“
    „Bitte?“
    „Warum hat Michael Löwe ein Einzelzimmer wie sonst nur die Dozenten? Was ist besonderes an ihm?“
    Fachinger sah genau, wie sein Gegenüber erblasste. „Es … es gibt keinen bestimmten G-Grund“, stotterte der Rektor. „Es ist einfach nur ein Zufall.“
    „An Zufälle habe ich früher einmal geglaubt. Dummerweise führen wir dieses Gespräch aber heute und nicht früher.“
    Mit diesen Worten steuerte Fachinger auf die linke der beiden Treppen zu und stieg in den ersten Stock hinauf. Werner folgte ihm – etwas anderes hatte Fachinger auch nicht erwartet.
    „Übrigens, ich hätte gerne eine Liste aller Dozenten und Studenten“, schnaufte er kurzatmig, oben angekommen. „Die Namen reichen. Ich möchte gerne mit jedem einzelnen von ihnen kurz ein paar Worte wechseln.“
    „Warum tun Sie das?“
    „Interesse, Herr Hotten, reines Interesse.“ Und es stimmte sogar. Es war Neugier und eine Art sportlicher Reiz. Fachinger wollte nur das tun, was er tun konnte. Einen anderen Grund gab es nicht.
    Er ging den langen Korridor ganz nach hinten, betrachtete sich kurz die letzte Tür auf der linken Seite, ohne eines der Vorhängeschlösser zu berühren, und wandte sich dann dem Zimmer daneben zu. Das musste es sein. In diesen Raum hatte man ihn geschickt. Der Geist würde doch nicht mehr anwesend sein, oder?
    Er klopfte an die Tür, und eine dumpfe Stimme rief: „Ja?“
    Dirk Fachinger trat ein und begegnete dem merkwürdigsten Menschen seines Lebens.

2
    Vergangenheit
    Der Mann folgte der Gestalt durch das Haus. Ihre Schritte wurden schneller, und er hatte Mühe, sie nicht aus den

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