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Falkengrund Nr. 30

Falkengrund Nr. 30

Titel: Falkengrund Nr. 30 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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ihr dadurch noch größer und gewaltiger. Natürlich fühlte sie sich eingeschüchtert und nervös, aufgedreht und zittrig, aber sie empfand keine Angst. Es gefiel ihr, dass Erwin zwei Stufen hinabging, rückwärts, wobei er ins Straucheln geriet und beinahe stürzte.
    „SCHLUSS!“, erklang eine Stimme, die mühelos die Wand aus elektrischen und mechanischen Geräuschen durchdrang. „DU GEHST ZU WEIT.“
    Erwin dagegen war kaum zu hören, als er erwiderte: „Es ist alles … in deinem Sinne, Baron, in Eurem Sinne, meine ich. Habt Ihr Eure Charmaine schon besucht? Sie … erwartet Euch sehnsüchtig, und … Ihr solltet sie nicht … ich meine …“
    „LASS DIESE FRAU FREI!“
    „Sie?“ Erwin schien überrascht, dass der Spuk von Edeltraud sprach. „Sie bedeutet Euch nichts, Baron! Sie ist eine Fremde, eine unwichtige … Person, ein winziges Zahnrad in …“
    Die Erde begann zu beben. Leicht nur, aber es hatte eine gewaltige Wirkung auf die Menschen. Erwin warf sich zu Boden, und auch Edeltraud presste sich eng an den Teppich und schirmte ihren Kopf ab. Mit einem Krachen flog die Haustür auf und blieb offen stehen.
    „LASS SIE GEHEN! – STEH AUF, FRAU!“
    Wackelig kam Edeltraud auf die Beine. Sie atmete in kurzen, heftigen Stößen mit langen Pausen dazwischen. Ihr Kreislauf spielte verrückt, alles drehte sich um sie. Sie klammerte sich an das Treppengeländer und hangelte sich daran hinab, eine Stufe, noch eine. Sie hatte es eilig, seinen Befehlen nachzukommen, weil sie fürchtete, seinen Zorn zu wecken, wenn sie zögerte. Erwin starrte sie an, schien unschlüssig, ob er es wagen konnte, sie aufzuhalten.
    Der Baron als ihr Retter. Mit dieser Situation hatte sie nicht gerechnet. Es hatte etwas Märchenhaftes an sich, etwas Rührendes, als wäre er ein verunstalteter Engel, der einen guten Kern hinter seiner finsteren, angespannten Fratze verbarg. „Wer ist nun der Herr des Hauses, hm?“, flüsterte sie, als sie an Erwin vorüberkam. Sie genoss den Blick in seinen Augen, die Erniedrigung und die Furcht. So schnell waren seine hochfliegenden Pläne (die sie nur im Ansatz verstanden hatte) zunichte gemacht. Sobald Edeltraud die Tür passiert hatte, würde sie rennen und rennen, bis sie nach Wolfach kam. Die Dunkelheit interessierte sie nicht. Sie hatte keine Angst mehr davor. Im Ort würde sie Hilfe holen und dafür sorgen, dass Samuel, Konrad und Charmaine noch in dieser Nacht befreit wurden.
    Alles würde gut werden. Sofern man an den Begriff „gut“ keine übertrieben hohen Anforderungen stellte.
    Sie hatte die vorletzte Treppenstufe erreicht, als sie erstarrte. Die Haustür existierte nicht mehr.
    An der Stelle, an der sie sich eben noch befunden hatte, hing eine Stoffbahn, dunkelgrün mit feinen gelben Linien darin. Der Stoff war gewaltig, kam aus dem Nichts und schien die gesamte Wand zu bedecken.
    „KATHARINA!“
    Die Stimme des Barons. Sie klang nicht mehr ernst und machtvoll, sie klang … überrascht, geradezu schockiert. Wer war Katharina? Seine Frau? Die Gattin des Barons, die er angeblich vor neun Jahren mitsamt seinen beiden Söhnen und seinen Gästen in einem Anfall von Wahnsinn hier in dieser Halle getötet hatte? War dieser Kleiderstoff eine Wahnvorstellung des Barons, die vor ihren Augen Realität wurde?
    „KATHARINA … MEINE GELIEBTE KATHARINA …“ Die Öllampen verloschen alle gleichzeitig, hier in der Halle und oben in den Fluren. Lediglich das unruhige elektrische Licht flimmerte weiter, pulsierte wie ein unregelmäßig schlagendes Herz. „DAS ERSTE ZEICHEN VON DIR NACH ALL DIESER ZEIT.“
    Es gab eine lange Pause der Stille und des Abwartens, in der die Wirklichkeit allmählich zurückkehrte, die seltsamen Schwarzweiß-Bilder und Filme zu fahlen Schemen verblassten. Im Haus wurde es zusehends dunkler. Die elektrischen Lichter flammten in immer größeren Abständen für immer kürzere Zeit auf. Zwischen den blendend hellen, den Augen schmerzenden Phasen lagen zehn, fünfzehn Sekunden Finsternis.
    In eine solche Phase hinein klang die Stimme des Barons, lauter und dröhnender als zuvor, und doch von einer nie gehörten Unsicherheit erfüllt. Die Stimme des Spuks bebte. „DU BIST ALSO GEKOMMEN, UM MICH ZU DIR ZU HOLEN, MEINE KATHARINA. DU HAST MIR SCHNELLER VERGEBEN, ALS ICH MIR SELBST VERGEBEN KANN. AUCH IM JENSEITS BIST DU NOCH DER BESSERE MENSCH VON UNS BEIDEN – WIE SOLLTE ES AUCH ANDERS SEIN?“
    Und nach einer weiteren Pause: „ICH VERSTEHE. INDEM ICH DIESES MÄDCHEN

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