Falkengrund Nr. 30
war es nicht. Er fürchtete nicht um seine Sicherheit. Die Vorstellung, tatsächlich mit der Seele seines ungeborenen Kindes Kontakt aufzunehmen, ließ ihn die Fassung verlieren. Er wusste auf einmal nicht mehr, was er hatte sagen wollen, wie er sich den Verlauf des Gesprächs vorgestellt hatte. Die Erkenntnis, dass etwas so Unglaubliches tatsächlich möglich war, verkraftete er nicht.
Das alles war nicht gefährlich. Es war nur einfach viel zu groß .
Die Kerzenflammen flackerten und rußten, und über das Gesicht einer der Frauen lief eine dicke Bahn weißen Wachses. Ihre Lippen waren zu einer schiefen Wellenlinie verzerrt. Alle schwitzten. Das erwartungsvolle Leuchten in den Augen der Teilnehmerinnen wurde von einem Schatten der Furcht überlagert.
Ja, er war nicht mehr alleine im Inneren des Pentagramms. Das Gefühl, das er bei den Schwangerschaften seiner Frau gehabt hatte, kehrte zurück, das Gefühl der Anwesenheit eines neuen Lebens. Es war sogar noch viel stärker als damals, beinahe, als wäre er selbst schwanger.
Zu sehen gab es außer der Veränderung des Wassers nichts. Warum nur zitterten seine Hände so sehr?
Plötzlich riss das Halbdunkel auf, und eine vollkommene Schwärze waberte dahinter. Etwas glitt herüber in ihre Welt, berührte Hannes an der Wange, dann umhüllte ein Schatten sein gesamtes Blickfeld.
Eine der Frauen gurgelte. Eine andere schrie gellend auf. Wachs spritzte in seine Richtung, traf sein Gesicht. Der Geruch verloschener Kerzen lag bitter in der Luft.
„Das ist … das … Zurück! Weiche zurück!“, rief Helga.
Hannes überfiel eine unaussprechliche Panik. Die Schale mit dem Wasser entglitt seinen Händen, das Wasser ergoss sich auf seine Hosenbeine und auf den Fußboden. Die Finsternis vor ihm flatterte und erhielt eine bläuliche Färbung.
An wen war das „Weiche zurück“ gerichtet? An ihn? Sprach man mit solchen Worten nicht den Teufel und seine Dämonen an?
Hannes stützte sich mit der Hand auf dem nassen Boden ab und versuchte sich aufzurichten. Seine Beine waren eingeschlafen, reagierten nur ungelenk. Er spürte den harten Gegenstand in seiner Manteltasche. Für einen Moment lichteten sich die Schleier, der Raum kehrte in sein Blickfeld zurück, mitsamt der offenstehenden Tür, und er wollte die Chance ergreifen, sich mit einem Satz aus dem Inneren des Kreidegebildes zu befreien. Doch das Wasser unter seinen Füßen war in der Kälte zu Eis erstarrt, er rutschte weg, der Gegenstand sprang aus seiner Tasche, prallte klackend auf den Boden und kullerte weg, aus dem Pentagramm hinaus.
Als er den Kopf drehte, sah Hannes über sich ein drohendes Gebilde aus Dampf und fahlen Lichtreflexen. Eine der Frauen, die um ihn herum saßen, stürzte vor und wollte ihm aufhelfen. Ihre Bewegungen allerdings passten nicht zusammen – er hatte sich schon weggedreht, als sie mit vorgestreckten Armen auf ihn zukam. Sie verfehlte ihn.
Das Dampfwesen senkte sich auf Hannes nieder, der aus dem fünfzackigen Stern nach außen robbte. Etwas Kaltes streifte seine Beine. Er achtete nicht darauf. Er hatte nur Augen für den Gegenstand, der inzwischen gegen eine der Wände gleich neben der Tür geprallt und dort liegengeblieben war. Endlich kam der Mann auf die Füße, wich der entsetzt dreinblickenden Helga aus, schnappte sich den Gegenstand und taumelte durch die Tür nach draußen.
Er drehte sich kein einziges Mal um, während er durch das Labyrinth aus Gängen floh. Er stolperte über den herumliegenden Müll, bog in Korridore ein, die sich als Sackgassen entpuppten, und einmal traf er sogar auf Menschen, junge, gut gekleidete Männer, in deren Armen Nadeln steckten.
Irgendwann begann er zu schluchzen, denn der Irrgarten schien kein Ende zu nehmen.
Dann unvermittelt der Ausgang. Ohne es recht zu begreifen, tauchte er zwischen einer Reihe parkender Autos auf, der wolkenvergangene Himmel des Nachmittags über ihm, die Straße feucht von einem Regenguss, der wohl unlängst niedergegangen war. Er musste sich neu orientieren. Für einen Moment kam ihm diese Welt fremd vor.
Er stützte sich auf einen der Wagen und brauchte Minuten, um wieder zu Atem zu kommen. Sein Blick kroch an dem dunklen Bürogebäude mit den vielen kleinen Fenstern nach oben. „Kein Zutritt“, warnte ein Plakat, und daneben prangte die Werbung einer Baufirma, ein breites Transparent, vom Wind teilweise zerrissen.
Was war geschehen?
Und … was geschah jetzt gerade hinter einem dieser Fenster?
„Ich hätte
Weitere Kostenlose Bücher