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Falkengrund Nr. 30

Falkengrund Nr. 30

Titel: Falkengrund Nr. 30 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Blick irgendwo zwischen die schillernden Welten der Regale gerichtet, wo die Gläser mit dem Kopf nach unten hingen. Die verrauchte Luft störte ihn noch immer, aber in seinen eigenen vier Wänden zu trinken, davor fürchtete er sich. Wenn es keine Bremse mehr gab außer dem Tod, würde dieser vielleicht die Bremse sein, die er zog. Viele Dinge waren in seinem Leben geschehen, und es fiel ihm schwer, sich an ihre Reihenfolge zu erinnern. Jetzt war es auch nicht mehr wichtig.
    Nun, beim vierten Bourbon an diesem Abend, sah er klar. Er hatte sich zu sehr an einer Sache festgehalten, die er nicht haben konnte. Also musste er die Sache endlich loslassen. So einfach war das.
    „Ich bin ein kinderloser Vater“, sagte er zu dem Barkeeper und lachte. „Es muss auch kinderlose Väter geben, oder?“
    „Unbedingt“, erwiderte der Keeper ausdruckslos und putzte weiter seine Gläser.
    Gut. Damit war das Thema abgeschlossen. Keine falschen Hoffnungen mehr. Kein nächtelanges Blättern mehr in medizinischen Journalen. Keine entwürdigenden Termine mehr bei Ärzten und Geistheilern. Wenn er von nun an jungen Frauen nachsah, dann, weil sie sexy waren, nicht weil er sich fragte, ob es mit ihnen vielleicht klappen könnte, ob in ihrer Gebärmutter gerade diese Art von Super-Eizelle heranreifte, die sich mit einer seiner schwachen Spermien verbinden und daraus ein lebendiges Kind zaubern würde.
    Von heute an würde er sich mit seinem Schicksal abfinden. Sich anderen Dingen zuwenden.
    Er fühlte sich leicht. Befreit von einem unangenehmen Teil seiner Persönlichkeit.
    Da sprach ihn die Frau an.
    „Du bist Hannes, nicht wahr? Verzeih meine Direktheit, aber trägst du ihn noch immer bei dir?“
    Ein altes, verwittertes Gesicht blickte ihm mit erstaunlicher Offenheit entgegen. Er hatte nicht mitbekommen, wie sie sich neben ihn gesetzt hatte. Im ersten Moment glaubte er, sie nie zuvor gesehen zu haben, doch dann erinnerte er sich an die Séance in jenem leerstehenden Bürogebäude. Wie lange lag das zurück? Ein halbes Jahr? Sie war eine aus dem Kreis. Helga, Brigitte, Isabella, Traude oder Vicky. Nein, nicht Helga, die Anführerin. Eine der anderen, der Mitläuferinnen, der gelangweilten alten Damen.
    „Tut mir leid“, sagte er ziemlich unfreundlich und schwenkte die letzten Tropfen in seinem Glas herum. „Ich hab’s einmal versucht, und das reicht mir. Kein Interesse.“
    „Aber du hast ihn doch erreicht.“
    „Erreicht. Wen?“ Natürlich wusste er, was sie meinte.
    „Michael.“
    „Wer ist Michael?“ Eine Gänsehaut kroch an seinen Beinen herauf, als stünde er mit den Füßen auf einer Eisschicht.
    „Gefällt dir der Name nicht?“ Die ganze Zeit über blickte sie entspannt, aber ernst, und er hatte den Eindruck, dass sie zu einem Lächeln nicht fähig war.
    Michael. Der Name kreiste in seinem Kopf. Mit jeder Sekunde, die sie schwieg und ihn dem Namen überließ, wurde er ihm vertrauter, bis er nach ein, zwei Minuten das Gefühl hatte, es sei der schönste und wichtigste Name in seinem Leben.
    Was machte sie mit ihm?
    Der Keeper kam und fragte nach ihren Wünschen. Sie bestellte ein Bitter Lemon. Hannes schüttelte sich. Er hatte dieses saure, irgendwie nach Schimmel schmeckende Zeug nie gemocht.
    „Wirf ihn nicht weg“, mahnte sie. „Acht Wochen lang war er in dieser Welt, und als der Tod ihn hinübergerissen hat, hast du ihn zurückgeholt. Du hast mehr getan, als die meisten Väter ihr ganzes Leben lang für ihre Kinder tun. Wie kannst du ihn jetzt aufgeben?“
    „Hör zu, Isabella oder Vicky, oder wie immer du heißen magst …“ Er hustete, sah zur Seite, suchte nach Worten. Seine Augen brannten von dem Rauch. „Das Problem liegt bei mir selbst. Und zwar nicht in meinen Hoden, sondern in meinem Hirn. Ich konnte einfach nicht loslassen. aber jetzt …“
    „Ich bin Traude“, fuhr sie dazwischen. „Und dass du nicht losgelassen hast, macht dich zu etwas Besonderem. Es gibt magische Wege, um …“
    Diesmal unterbrach er sie. „Von Magie will ich nichts mehr wissen.“ Seine Zunge war schwer, er konnte manche Wörter kaum aussprechen.
    „Blödsinn!“ Sie hob den Finger, wie eine strenge Lehrerin einem kleinen Jungen droht. „Für Leute wie dich wurde Magie geschaffen.“
    „Ach wirklich?“ Er schüttelte lachend den Kopf.
    Ihr Blick wurde bohrender. „Es braucht einen fast übermenschlich starken Willen.“
    „Den habe ich nicht.“
    „Du hattest ihn. Vielleicht solltest du aufhören zu trinken,

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