Falkengrund Nr. 30
Mutterbrust saugen, nicht wahr?“
„Mutterbrust“, wiederholte Michael. „Ich glaube, ich bin noch nicht … noch nicht alt genug, um an der Brust zu saugen. Saugen Sie an der Brust, Kriminalbeamter aus Freudenstadt?“
„Nicht, wenn ich noch ein Bier im Kühlschrank habe“, lächelte Fachinger, aber im Inneren war er ernst. „Noch eine Frage: Was studieren Sie hier?“
„Noch eine Frage!“ Michael fischte eine Chipstüte aus dem Karton und riss sie mit den Zähnen auf.
„Ja, gut, okay. Andere Frage: Reichen Ihnen die Mahlzeiten hier nicht? Bekommen Sie zu wenig, um satt zu werden?“
„Er hat einen ungewöhnlichen Appetit“, bemerkte Werner im Hintergrund.
„Kein Problem“, wiegelte Fachinger ab. „Ich kenne das. Ich gehe auch immer hungrig aus der Kantine hinaus. Habe immer was zum Knabbern in meinem Schreibtisch. Dummerweise schlägt es bei mir an.“
„Keine Fragen mehr?“, wollte Michael wissen, während er sich eine Handvoll Chips in den Mund stopfte.
„Sie beantworten sie ja doch nicht“, sagte Fachinger.
„Schade“, meinte Michael.
„Kein Thema.“ Fachinger wandte sich einer Fotografie zu, die er beim Betreten des Raumes sofort entdeckt hatte. Sie stand auf einem nicht mehr ganz neuen Schreibtisch in einem kitschigen Silberrahmen und zeigte einen eher kleinen Mann in einem hellen Anzug. „Gut, jetzt habe ich doch noch eine Frage an Sie. Wer ist dieser Mann?“
Michael betrachtete das Bild. „Das ist mein Vater.“
Fachinger leckte sich über die Lippen. Er hatte die Hoffnung auf eine klare Antwort schon aufgegeben gehabt. „Wo ist Ihr Vater jetzt?“
„Ich weiß nicht.“
„Sie haben keinen Kontakt mehr zu ihm?“
„Ich glaube, das reicht“, mischte sich Werner ein.
Fachinger sah ihn überrascht an. „Ja? Was meinen Sie?“
„Mein Vater heißt Hannes. Er ist tot“, sagte Michael plötzlich und ließ die Chipstüte sinken. Sein Appetit schien ihn verlassen zu haben.
Fachinger beugte sich zu ihm herunter. „Das tut mir leid.“
„Ja, mir auch“, meinte Michael. „Ich habe ihn getötet.“
„Herr Fachinger!“, flüsterte Werner. Schweiß lief ihm über das Gesicht. „Das ist nicht wahr. Bitte, Sie müssen doch sehen, dass dieser Junge …“
Fachinger versenkte seinen Blick in den des Studenten, der keiner war.
Aber was war er?
Zusammen mit dem Rektor verließ er das Zimmer. „Jedes Mal, wenn ich Sie besuche, stoße ich auf etwas Unglaubliches“, stellte Fachinger fest und blickte Werner fast mitleidig an. „Was für ein Ort ist das hier?“
Werner wischte sich den Schweiß ab. „Würden Sie mir glauben, wenn ich sagen würde, dass Sie das Ungewöhnlichste an diesem Ort jetzt gesehen haben? Der Rest wird Sie furchtbar enttäuschen.“
Fachinger lachte. „Möglich. Das erste Mal bin ich einem Geist begegnet. Das war ziemlich gruselig, aber irgendwie fast schon … eine handfeste Sache. Man kann in Büchern darüber lesen. Dieser Michael Löwe macht mich ziemlich ratlos.“
„Sie dürfen nicht ernst nehmen, was er eben gesagt hat. Denken Sie sich nichts dabei.“
„Wenn ich denken würde, was man mir zu denken erlaubt, könnte ich meinen Beruf an den Nagel hängen.“
„Michael ist einfach … ein wenig zurückgeblieben.“
„Akzeptiert. Aber was sucht er dann in diesem Haus? Sie können mir nicht erzählen, dass er dem Unterricht zu folgen vermag.“
Werner ließ die Schultern sinken. „Natürlich nicht.“
„Lassen Sie mich raten: Er ist Ihnen eines Tages zugelaufen, und Sie haben ihn einfach aufgenommen, weil er einen so treuherzigen Blick und Sie einen freien Raum hatten.“
„So ähnlich war es tatsächlich.“
„Und wie war es genau ?“
Werner starrte traurig ins Leere. „Sie … wollten doch die Liste mit den Dozenten und Schülern. Kommen Sie in mein Büro, und ich schreibe Sie Ihnen.“
„Warum nicht?“ Jetzt begann Fachinger selbst ein wenig zu schwitzen. Das sah ja aus, als hätte er schon wieder in ein Wespennest gestochen …
4
Vergangenheit
Es war so pathetisch. Er kam sich vor wie die Hauptfigur in einem schlechten Film.
Wenn er sich eines geschworen hatte, dann, dass er nie als Trinker enden würde. Sein Leben lang hatte er dem Alkohol nicht viel abgewinnen können und nie begriffen, welches Glück die Menschen in der Flasche suchten. Kneipen waren für ihn Orte voll schlechter Luft, schlechter Musik und schlechter Gesellschaft gewesen.
Nun war er am Tresen zu Hause, immer ein Glas Bourbon vor sich, den
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