Falkengrund Nr. 30
erzählt.“
„Dass er ihn umgebracht hätte?“
„Genau das.“
„Verdammt! Wer hat ihn überhaupt reingelassen? Er hatte doch bestimmt keinen Durchsuchungsbefehl bei sich.“
„Das war Melanie. Sie dachte wohl, Artur würde zurückkommen … Du weißt doch, seit er weg ist, rennt sie jedes Mal zur Tür, wenn es klingelt.“
„Armes Ding.“
„Marg, ich brauche deine Hilfe. Wir können uns diesen Fachinger kaum vom Hals schaffen, aber ich möchte wenigstens wissen, was er vorhat. Es muss einen Grund geben, dass er plötzlich auf Falkengrund auftaucht. Ich dachte an einen kleinen Zauber …“
„Ein kleiner Zauber ist ein großer Zauber“, erwiderte Margarete dunkel. „Jedes Anwenden von Magie ist schwierig und birgt Risiken.“
„Ich weiß, ich weiß. Aber es muss doch möglich sein, ihn dazu zu bringen, die Wahrheit zu sagen. Ihm einen kleinen Stoß zu geben, damit er uns verrät, was ihn herführt.“
„Du könntest ihm die Zunge mit einem Wein aus Sir Darrens Keller lockern …“
„Glaubst du, das lässt er mit sich anstellen? Er sieht zwar aus wie ein stumpfer Naturbursche, aber dieser Mann ist nicht dumm. Und heute macht er einen besonders aufgeweckten Eindruck. Wir müssen etwas nachhelfen, Marg!“
„Ein Wahrheitszauber“, murmelte sie nachdenklich. Hinter ihrer gekräuselten Stirn arbeitete es.
„Pass auf“, sagte Werner. „Er will mit allen Studenten und Dozenten sprechen. Das wird ihn eine Weile beschäftigen. In der Zwischenzeit kannst du die Sache vorbereiten, und wenn du fertig bist, holst du mich.“ Er wollte sich schon umdrehen und den Raum verlassen, als Margaretes Hand auf einmal die seine umgriff. Sie hatte ihn blind gefunden.
„Manchmal denke ich“, wisperte sie, „es wird alles zusammenbrechen. Wir haben kein Geld mehr, wir verlieren Dozenten … und Studenten. Zuerst ist Sir Darren verschwunden, und jetzt ist mir das zugestoßen. Ich weiß nicht, ob ich auf Dauer unterrichten kann. Madoka ist in Japan, Artur ist irgendwohin gegangen, Felipe und Enene sind noch nicht zurück. Wer weiß, ob wir sie überhaupt jemals wiedersehen. “
Werner seufzte. „Wir gehen durch eine schwierige Zeit. Irgendwann kommen wir wieder aus der Talsohle heraus! So pessimistisch kenne ich dich gar nicht.“
„Ich kenne mich ja auch nicht wieder. Was, wenn auf unserer Schule wirklich ein Fluch liegt? Vielleicht haben wir das Böse gar nicht besiegt, indem wir den Geist des Barons eingesperrt haben. Vielleicht ist es noch in den Mauern und vergiftet langsam unser aller Leben. So wie diese furchtbare Traude Gunkel die freundschaftliche Atmosphäre kaputtmacht, die wir immer hatten.“
Werner fiel darauf nichts ein. „Wir haben jetzt keine Zeit für solche Diskussionen. Das ist zu groß, um es zwischen Tür und Angel zu erörtern. Was wir jetzt brauchen, ist dieser Zauber.“
„Und was ist, wenn es gut ist, dass Fachinger alle unsere Geheimnisse aufdeckt und alles zerstört? So wie jetzt kann es doch nicht ewig weitergehen. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein …“ Sie zuckte mitten im Satz zusammen. Werner hatte enttäuscht die Tür geöffnet, wollte sich zurückziehen, die Flucht antreten, um von ihrem Selbstmitleid nicht auch noch angesteckt zu werden.
„Entschuldige“, sagte sie leise. „Ich werde mich um den Zauber bemühen.“
„Danke“, hauchte er.
6
Vergangenheit
Immer öfter wachte er nachts auf.
Geräusche gab es keine, und sein Zimmer lag in völliger Dunkelheit. Es war der Geruch, der ihn weckte, der Geruch von feuchter Erde. War er zunächst nur aus dem Raum nebenan gekommen, verströmte ihn mittlerweile das ganze Haus, jede Wand, und vor allem die Fußböden. Sie stanken, als würden das darunter liegende Erdreich die Dielen langsam aufweichen und zersetzen. In den erdigen Geruch mischte sich eine bittere Säure. Ehe er erwachte, träumte er stets von Bitter Lemon.
Er knipste die Nachttischlampe an, und sie schickte einen ovalen Lichtfleck durchs Zimmer.
Eine Wanduhr zeigte vier Uhr fünfzehn. Kaum hatte er seinen Blick davon abgewandt, gab es einen Knall, der ihn wieder ins Bett zurückwarf. Als er sich aufrappelte, erkannte er, dass die Uhr von der Wand gefallen war. Am ganzen Leib zitternd untersuchte er die Stelle. Der Nagel, an dem die Uhr jahrelang befestigt gewesen war, hatte sich gelöst. Hannes fuhr mit den Fingern über die Wand. Sie fühlte sich weich an. Er konnte seinen Zeigefinger hineinbohren wie in ein Stück Styropor.
Als er den
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