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Falkengrund Nr. 30

Falkengrund Nr. 30

Titel: Falkengrund Nr. 30 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Finger herauszog und betrachtete, klebten kleine braune Krumen daran. Erde. Er schnupperte. Der Geruch war eindeutig. Es war jener, der ihn jede Nacht weckte, nur viel intensiver.
    Hannes taumelte zur Tür. Auch im Flur war der Geruch. Er zögerte. Wohin sollte er sich wenden? Gleich rechts führte eine Tür in den Raum, den er selbst in der Helligkeit des Tages kaum zu betreten wagte. Am Ende des Flurs befand sich das Zimmer, in dem Traude schlief. Er hatte zugelassen, dass sie sich bei ihm einquartierte. Wie er auch die vielen anderen Dinge gestattete. Gestattete, dass sie sein Leben benutzte und es auf den Kopf stellte.
    Wäre sie jung, hübsch und charmant gewesen, hätte er seine Hörigkeit auf seine Hormone schieben können. Solche Geschichten gab es überall. Aber sie war alt, hässlich und egozentrisch, und sie hatte ihn nicht „by the balls“ – was sie in der Hand hielt, war mehr, sein ganzes Leben, alles, was ihm jemals etwas bedeutet hatte.
    Alles hatte er mitgemacht. Wie ein alternder Mann sich für ein junges Mädchen zum Trottel machte, alle ihre Launen mit einem schmerzlichen Lächeln ertrug, sich von ihr in Szenediscos abschleppen ließ, ihr unmögliche Klamotten kaufte, die sie nach zwei Tagen auf den Müll warf, so hatte er dieser verrückten Alten geholfen, eine Statue aus Ton und Friedhofserde zu bauen, hatte den Embryo seines Sohnes aus dem Gefäß genommen und an die Stelle gesetzt, wo bei einem Menschen der Magen wäre. Hatte Papierstückchen mit hebräischen Zeichen über den tönernen Körper verteilt, die zehn Sephirot des kabbalistischen Lebensbaums an die Zimmerdecke gemalt, hatte tausend Albernheiten begangen, hatte Gott gelästert und gepriesen und längst aufgegeben, ein System hinter alldem zu erkennen.
    Und was das schlimmste war: Er hatte stundenlang, tagelang Beschwörungsformeln mit ihr im Chor gemurmelt, ohne zu essen oder zu trinken. Er hatte die magischen Worte gesagt, bis seine Kehle wund war, hatte gekniet, bis er seine Beine nicht mehr spürte, Figuren in die Luft gemalt, bis seine Arme abzufallen schienen.
    Ohne Erfolg.
    Wie lange ging das nun schon? Ein Jahr, zwei? Der Embryo in der Statue musste längst verwest sein. Keine Resultate, außer, dass sein Leben vollends in Scherben lag. Er wünschte sich, damals in der Kneipe nicht auf Traude gehört zu haben – vielleicht hätte er von Anfang an Bitter Lemon trinken sollen anstatt Bourbon. Vielleicht hätte er dann den galligen Humor aufgebracht, um die dummen Fallstricke, die sie für ihn auslegte, zu entlarven und zu entkräften.
    „Wenn der Gestank sie nicht weckt, werde ich sie nicht wecken“, murmelte er. Irgendetwas geschah mit dem Haus, und es war nichts Gutes. Sie wollte es nicht sehen, und auf ihn würde sie ohnehin nicht hören.
    Hannes öffnete die rechte Tür. Es gab einen Lichtschalter, er drückte ihn und wunderte sich beinahe, als das Licht aufflammte, ohne Sperenzchen zu machen. Staub lag überall, denn Traude hatte ihm verboten, hier sauberzumachen. Im Staub waren ihrer beider Spuren zu sehen, rings um die Statue herum. Es war ein lebensgroßes Abbild eines hageren Menschen. Er verfügte über keine Geschlechtsteile, war grob gearbeitet und schien keine Persönlichkeit zu haben.
    Ein Golem.
    Ein Golem, der sich hartnäckig weigerte zu leben.
    Natürlich. Ein toter Embryo in einem Leib aus totem Ton, um den zwei erwachsene Menschen Tag für Tag einen irren Tanz vollführten, würde aus Mitleid für die Idioten kaum zu leben beginnen.
    Anfangs hatte Hannes daran geglaubt, dass eines Tages Leben in diesen Körper fließen könnte. Traude hatte so viele Argumente gehabt – Schein argumente allesamt. Sie hatte ihm erklärt, dass das hebräische Wort „Golem“ von dem Wort für Embryo kam, dass es etwas Unfertiges im Allgemeinen bedeutete. Dass die alten Rabbiner nur Ton und die heiligen Worte gebraucht hatten, um einen lebendigen Golem zu schaffen. Dass es umso mehr gelingen musste, als Hannes das besaß, was ein Golem eigentlich war: einen Embryo.
    Hannes betrachtete den Tönernen, ging um ihn herum.
    „Hallo Michael“, sagte er. Ihn verlangte es nach einem guten Schluck eines scharfen Getränks. Seit jenem Abend in der Kneipe hatte er keinen Alkohol mehr getrunken. Die meiste Zeit über vermisste er ihn.
    Michaels Lippen blieben unbewegt, seine Lider geschlossen.
    „Schläfst du oder wachst du?“, fragte Hannes. „Hast du schon gesehen, was mit dem Haus geschieht? Die Wände verwandeln sich in

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