Falkengrund Nr. 30
Hoffnung.
In Michaels Zimmer wartete Traude bereits. Hannes registrierte, dass sie sich vor der Statue platziert hatte, als wolle sie sie schützen. Empfand sie mütterliche Gefühle für ein totes Stück Ton? Nach wie vor war er nicht sicher, warum sie sich so sehr in die Sache hineinhängte. Vielleicht, weil sie selbst keine Kinder hatte und sich ebenfalls wünschte, Leben zu schenken? Aber der Embryo, der im Bauch der Statue begraben war, war nicht ihrer. Die Mutter war Hannes’ Frau, von der er nun getrennt lebte, eine Japanerin.
Um Michael und Traude herum war der Fußboden aufgewühlt wie ein Acker, über den Pferde galoppiert waren. Dr. Konzelmann betrachtete sich das Phänomen und schien wenig Interesse für die Statue zu haben. Der Forscher kniete nieder und entnahm Proben von der Erde. Fragen stellte er keine.
„Es beginnt auch an den Wänden“, erklärte Hannes, als er die Stille nicht mehr ertrug.
„Tatsächlich?“, meinte der Doktor, erhob sich und betastete die Wände.
„Gibt es so etwas öfters?“ Himmel, warum sprach dieser Mensch denn kein Wort?
„Möglich“, antwortete Konzelmann nur. „Möglich.“
„Was können wir tun?“, schaltete sich nun Traude ein.
„Um den Golem zu beleben … äh … nichts“, erwiderte Konzelmann zerstreut. „Lassen Sie es sein. Es funktioniert nicht. Und es gibt … Probleme mit … wenn es doch funktionieren sollte … mit … mit … den Behörden …“
„Was können wir tun, um den Verfall des Hauses zu stoppen?“, formulierte Traude ihre Frage präziser. Ihr Tonfall wurde schärfer. Es war klar, dass sie seine Meinung zum Golem nicht hören wollte.
„Ja, der Verfall des Hauses. Das ist das Problem.“ Konzelmann wandte sich ab, senkte den Blick. Es sah gar nicht aus, als würde er nachdenken. Er wirkte immerzu, als würde er sich für seine eigene Anwesenheit schämen. „Sie müssen … also … hören Sie auf mit den … diesen Beschwörungen … Das ist … ziellose, fruchtlose Magie, wissen Sie … und das zerstört dieses … es ist nicht gut für das Haus. Für die Materie. Es … ja, man kann sagen, es zersetzt sie.“
„Gibt es keinen Gegenzauber, um diese Wirkung aufzuheben?“, fragte Traude.
„Hinzauber, Herzauber“, murmelte Konzelmann. „Das wirkt alles sehr … zersetzend. Wir versuchen es besser auf dem chemischen Weg … mit einer … einer … ähm … Dings … bleihaltigen Paste. Ich schreibe Ihnen auf, was Sie brauchen. Ja, hier …“ Er fischte einen alten Notizblock aus seiner Jacke und kritzelte mit einem stumpfen Bleistift ein paar kaum leserliche Begriffe darauf. Den Zettel riss er ungeschickt ab und reichte ihn Traude. „Besorgen Sie das bis morgen Nachmittag. Wir brauchen große Quanti-… äh … täten. Wir müssen das ganze Haus damit imprägnieren.“
„Ist das etwas Kabbalistisches?“
„Alchemistisches. Gewissermaßen.“
„Können wir den Verfall damit rückgängig machen?“
„Vergessen Sie das“, sagte er und sah Traude zum ersten Mal in die Augen. „Vergessen Sie das.“
Der Doktor packte seine Proben ein und verließ das Haus, als wäre er in großer Eile. Hannes stand Traude eine Weile schweigend gegenüber, dann sagte er: „Vielleicht sollten wir den Rat des Doktors befolgen und mit der Magie aufhören. Sie nutzt ohnehin nichts.“
Darauf gab Traude keine Antwort.
„Morgen früh gehe ich die Sachen besorgen, die Dr. Konzelmann aufgeschrieben hat“, sagte sie nur. „Dann werden wir weitersehen.“
Sie gibt nicht auf , dachte Hannes. Warum gibt sie nicht endlich auf? Ist es nicht höchste Zeit, dass wir unser Leben für andere Dinge verwenden?
8
Gegenwart
Fachinger sprach unbeirrbar mit allen Personen, die sich im Schloss aufhielten. Da waren neun Studenten, die Köchin und drei Dozenten: Margarete Maus, Traude Gunkel und Dr. Konzelmann.
Margarete befragte er höflich, aber ohne falsche Zurückhaltung nach den Umständen ihrer Erblindung, und sie erzählte ihm etwas von einer erblichen Vorbelastung. Ihre Mutter habe ebenfalls Mitte der Vierzig plötzlich das Augenlicht verloren. Fachinger war sicher, dass sie ihn anlog, aber es schien ihm taktlos, weiter in sie zu dringen.
In Traude Gunkel hatte er eine Frau, die vor Unzufriedenheit geradezu überströmte, und er ermunterte sie elegant dazu, über ihre Kollegen ebenso herzuziehen wie über die Studenten. Daraufhin geriet sie geradezu in eine Ekstase des Lästerns und badete ihn in ihrer Unzufriedenheit.
Auch mit Dr.
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