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Falkengrund Nr. 31

Falkengrund Nr. 31

Titel: Falkengrund Nr. 31 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Straucheln, stürzte auf die letzte Stufe, rutschte über die Kante und schlug mit dem Hinterkopf auf dem Fußboden auf. Als er sich umsah, konnte er den Baron kurzzeitig nicht entdecken. Es lag daran, dass er direkt neben seinem Kopf stand.
    Als Werner sich aufrappelte, fiel der größte Teil seines Bartes in Büscheln auf seine Brust. Das durfte nicht sein! Er begann sinnlose Dinge zu tun. Raffte die Büschel zusammen und drückte sie gegen sein Kinn, gegen seine Wangen.
    „Ich bin Werner Hotten!“, kreischte er. „Werner Ulrich Hotten. Meine Eltern heißen …“ Als er seine Kiefer berührte, schien es ihm, als würden seine Schädelknochen sich verschieben. Er wollte das nicht! Er hatte nichts getan, wodurch er sich den Hass dieses Wahnsinnigen verdient hätte.
    Er versuchte aufzustehen, aber es ging nicht. Der Spuk drückte ihn mit seiner Präsenz nieder, ohne ihn zu berühren. Es war aus. Er hatte gewusst, dass es so kommen würde. Wahrscheinlich würde er noch zwei, drei Minuten zu leben haben. Solange er noch nicht das Gesicht des Barons hatte, würde der Geist ihn nicht töten.
    Aus Verzweiflung tat Werner etwas Furchtbares. Der Baron hatte keinen Vollbart, aber er hatte Haare, lange, dichte, kräftige Haare. Also begann sich Werner das Haupthaar ausreißen. Es war einfach, weil er lange Haare hatte. Man konnte sie sich um die Hand wickeln und dann …
    Die Schmerzen machten ihn halb wahnsinnig.
    Drei, vier kräftige Strähnen hatte er ausgerissen, aber es blieben noch so viele. Wenn er erst eine Glatze hatte, war er vielleicht sicher. Ohne Haare würde er nie aussehen wie der Baron. Oder würden ihm einfach neue wachsen? Ihm war nicht nach Nachdenken zumute. Er hatte eine winzige Chance, und er würde sie nicht ungenutzt lassen.
    Sein Blut strömte über sein Gesicht. Sein Blut. Werner Hottens Blut. Hoffentlich roch der Baron es. Dass es Werners Blut war.
    Der Spuk schien seinem Gebaren fasziniert zuzusehen, doch plötzlich wandte er sich zur Seite.
    Das Rauschen war lauter geworden. Es irritierte den Geist sichtlich.
    „Loooorenzzzzz …“ Der Name, ausgesprochen von einer halb weiblichen, halb ätherischen Stimme, verwandelte sich in ein elektrisches Zischen.
    „KATHARINA.“ So klang also der Baron. Nicht halb so unwirklich wie seine Frau. Seiner Stimme haftete etwas sehr Erdiges, Kräftiges an.
    „Lorenz.“ Sie hatte das Rauschen besiegt, war jetzt klar zu verstehen. „Wir müssen reden.“
    „REDEN.“
    „Ich habe … einen Fehler gemacht …“
    „JA?“
    „Ja. Ich bitte dich … um Vergebung …“
    „VERGEBUNG …“ Der Baron flackerte kurz wie eine Bildstörung im Fernsehen.
    Der Druck auf Werner war verschwunden, er war frei, sich zu bewegen, doch seine Kopfschmerzen machten ihn halb ohnmächtig. Sein Schädel war eine blutige Glatze. Fast drei Jahrzehnte später würde er einen Menschen namens Georg treffen, der seine Haare ebenfalls durch Gewalteinwirkung verloren hatte, einen Schüler, aber natürlich wusste er das heute noch nicht. Der Gedanke an eine Schule des Okkulten schien absurd in diesen Minuten.
    „Ich möchte nicht hier sprechen“, sagte Katharinas Geist. „Dieser … blutende Mann ekelt mich an.“
    „ER … STÖRT MICH NICHT …“
    „Du warst schon immer ein Freund des roten Saftes. Gehen wir nach oben. In das Zimmer, das einst unser … gemeinsames Schlafgemach war.“
    „ES IST ALT UND SCHMUTZIG.“
    „Es wird sein wie damals, in dem Augenblick, in dem wir es betreten.“
    Werner kroch zur Wand. Er litt immer noch Todesangst. Unterschwellig begriff er, dass die Dinge sich plangemäß bewegten, aber das Grauen wich nicht von ihm. Fasziniert beobachtete er, wie die beiden Erscheinungen (Lorenz so präsent, Katharina kaum sichtbar, nur eine leichte Trübung der Luft) die linke Treppe hinaufgingen, die auch Sir Darren gegangen war.
    Was tat er gerade da oben? War er fertig mit seinen Vorbereitungen? Verbarg er sich geschickt genug? Oder würde er sich für den Sieg über Lorenz opfern? Werner schätzte ihn nicht wie jemanden ein, der sein Leben leichtfertig aufs Spiel setzte, aber im Grunde kannte er ihn nicht.
    Schlotternd vor Angst wartete Werner, ein getretener Hund, in seinem eigenen Blut sitzend, seine Lippen wirres Zeug brabbelnd.
    Er fuhr zusammen, als ein gewaltiger Donner das Haus erzittern ließ.
    Kein Donner, nein.
    Die Wut eines verratenen Geschöpfs.
    Wie viel Zeit war vergangen? Sekunden, Minuten, Stunden?
    Schloss Falkengrund erbebte, die Wände

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